Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
schlugen ihn Halbwüchsige mit den Riemen von Ruderbooten so lange, bis er ertrunken war.
    Ende Juli 1945 brachen die drei Freunde zusammen mit der rothaarigen Erika aus der immer unerträglicher werdenden Pineta unter Brunos Führung auf. Nach über einjährigem Aufenthalt sprachen auch Sollfrei und Kopetzky so viel Italienisch, daß sie nicht gleich als Ausländer erkannt wurden. Es war ein weiter Weg bis an den Kalterer See. Sie schafften ihn vorwiegend in der Nacht, zu Fuß und in kleinen Raten. Manchmal halfen sie ein paar Tage Bauern bei der Feldarbeit, aßen sich gründlich satt, zogen wieder weiter. So hangelten sie sich langsam nach Norden.
    Im September erreichten sie Brunos Heimatort, freudig begrüßt und gastfreundlich von seinen Eltern aufgenommen. Zu ihrer großen Freude erfuhren sie, daß auch der kleine Kopatsch, den sie in feindlicher Uniform flüchtend vor den Amerikanern als deutschen Verwundeten abgeliefert hatten, schon vor Wochen die berühmte Weindomäne als Anlaufstelle passiert hatte.
    Sie lernten einen Lagrein-Kretzer von einem Santa Maddalena, einen Terlaner von einem Meraner zu unterscheiden. Edelgewächse des Hauses Panizza verschafften Bruno, Peter, Erika und dem Gorilla ordentlich ausgestellte Entlassungsscheine aus der Kriegsgefangenschaft, in der sie nie gewesen waren. US-Offiziere hatten inzwischen durch die Segnungen des Landes eine feinere Zunge, und Wein war nach den Zigaretten das beste Tauschobjekt.
    Sie lebten wie Gott in Italien, unter selbstverdienten Ausnahmeumständen, aber bei ihrer baldigen Heimkehr würden sie das Elend in jeder Form kennenlernen.
    Millionen Menschen irrten umher, Vertriebene, Ausgebombte, Geflüchtete, abgerissen, ausgeplündert, halb verhungert, nirgendwo willkommen.
    Mitunter schien es, als wäre das Mitgefühl der letzte Gefallene des Zweiten Weltkriegs gewesen. Niemand glaubte, daß dieses Volk, das aus Habenichtsen, Bettlern, Hungerleidern und Hartherzigen zu bestehen schien, jemals wieder auf die Beine kommen könnte. Schuld und Sühne, Wahrheit und Lüge standen dicht beieinander wie die Pinien in Tombolo, und natürlich schwammen auch Fettaugen auf der Armensuppe.
    Der Baron war wieder in Ascona. Die Kunde verbreitete sich von Mund zu Mund, und die Künstler und Lebenskünstler beeilten sich, ihrem Mäzen die Aufwartung zu machen. Eine Zeitlang genoß es Ralph von Wintersheim, dann zog er sich in sein Haus auf der Collina zurück, ganz dem Genuss des herrlichen Frühlingstages hingegeben. Unter ihm leuchtete der Lago Maggiore unnatürlich blau. Die weißen Segel der Boote sahen aus, als hätte er mit Einstecktüchern seinen Sonntagsanzug geschmückt.
    Gleich würde die Sonne mit einem letzten Ruck am Grat des Gambarogno stehen, über den See wandern, den Ghiridone streicheln, bis dahin hätte sich dann auch Mario telefonisch gemeldet.
    Der beschäftigungslose Konsul mußte sich mit Geduld wappnen, weil die Fernsprechverbindung mit Italien sehr schlecht war. Mitunter hatte es schon Tage gedauert, bis das Gespräch mit dem Jungen zustande gekommen war.
    Die Ruhe tat ihm gut, und der Baron konnte sich auf seinen Konten ausruhen. Der versierte Finanzier war bei seiner Vermögenslage immer auf Diversifikation bedacht gewesen, auf die Verteilung des Risikos. Er war bei guter Gesundheit; dem Tod ging er in Gedanken aus dem Weg, aber er litt von jeher am Alptraum des reichen Mannes, eines Tages arm zu sein.
    Deshalb hatte er kurz vor dem Kriegseintritt Amerikas seine dortigen Geldanlagen verfünffacht und einen großen Teil seiner wertvollen Gemäldesammlung in die neue Welt schaffen lassen. In der Schweiz, deren Bürgerrechte er schon aus der Vorkriegszeit besaß, lagen weitere liquide Teile seines Vermögens und wertvolle Kunstsammlungen, vom Immobilienbesitz – auch in anderen Ländern Europas – ganz abgesehen.
    Schon vor der braunen Machtergreifung war Ralph von Wintersheim der jüngste Direktor der Deutschen Reichsbank gewesen, was er nicht nur seiner reichen Familie, sondern vor allem seiner Witterung für Geldgeschäfte aller Art verdankte. Den einflussreichen Posten mit den enormen Beziehungen hatte er aufgegeben, um die Finanzplätze New York und London aus eigenem Augenschein kennen zu lernen.
    Er kannte die Größen, auf die es ankam, in allen Ländern, in allen Lagern. Der Konsul verkehrte mit englischen Aristokraten, amerikanischen Bankiers, einflußreichen Juden, neutralen Regierungsvertretern, aber auch mit spanischen Falangisten,

Weitere Kostenlose Bücher