Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
eigentlich pfeift. Früher, als er sich als Untergeordneter mit Stabsoffizieren herumschlagen mußte, die von Falschgeldbekämpfung nichts verstanden, aber streng auf Subordination achteten, wäre es weit nützlicher und notwendiger gewesen. Vielleicht stellt die Ehrung in Washington nur eine Art subtiler Rache dieser Barrashengste dar. So oder so, Steel wird sich auf die Visitenkarte ›Major a. D.‹ drucken lassen, ob er nun künftig als Anwalt arbeitet oder als Businessman oder sich entschließt, den Rest seines erwartungsgemäß noch längeren Lebens als Globetrotter zuzubringen – gut macht sich der überflüssige Titel immer, gegebenenfalls noch beim Nachruf am offenen Grab.
    Er erledigt Besorgungen und Einkäufe. Die Knollennase ist nicht mehr zu sehen. Auch kein anderes Gesicht taucht zum zweiten oder dritten Mal auf.
    New York gefällt dem Mann aus Arizona am Nachmittag schon viel besser als am Morgen. Es wimmelt von hübschen Mädchen aller Hautfarben mit dem unnachahmlichen Gang, zu dem Boulevards erziehen. Die Versuchung multipliziert sich, und ein Mann, sagt sich Steel, ist eigentlich ein armer Teufel, weil er von einer Gelegenheit in die andere Verlegenheit stolpert. Warum hat der Ölkönig Ibn Saud zum Beispiel mehr als fünfhundert Frauen, da ihn schon fünf überfordern müßten oder drei oder vielleicht sogar eine einzige, wenn sie ein Vulkan ist. Er erreicht das ›Plaza‹; es wird Zeit, sich ganz auf Mrs. Gipsy Sandler einzustellen. Ob sie wirklich einmal Stewardess war und sich dabei ihren Geschiedenen angelte, einen reichen Trunkenbold? Es mag stimmen oder auch nicht – alle Frauen schwindeln ein wenig und die wahrheitsliebenden womöglich am meisten. Für einen Mann wie ihn ist die Legitimation einer Frau ihr Aussehen und in dieser Hinsicht hat die Werbedame aus Philadelphia wohl fast bei allen Männern freien Durchlaß.
    Steel täuscht sich nicht: Der Mann mit Stirnglatze in der Lederjacke stolpert ihm fast über die Beine. Er sieht ihn jetzt zum dritten Mal. Falls der Bursche ihn tatsächlich beschatten soll, ist er ein Stümper. Unsinn, rügt sich der Abwehroffizier selbst, entschlossen, sich nicht länger mit Taggespenstern herumzuschlagen. Er geht ins Hotel, fährt in sein Apartment hinauf. Er betrachtet sich im Spiegel. Steel ist weder unzufrieden noch uneitel. Er rasiert sich zum zweiten Mal, wozu er sich nur bei der Vorbereitung erhoffter Premieren zwingt.
    Als das Telefon läutet, nimmt er mit eingeseiftem Gesicht den Hörer ab.
    »Ich hab' mich verspätet, Bob«, sagt Mrs. Sandler mit ihrer moussierenden Stimme. »Geben Sie mir noch eine halbe Stunde?«
    »Ungern«, erwidert er, »und ungeduldig. Ich werde unten auf Sie warten, Gipsy.«
    Eine kapriziöse Frau ist selten pünktlich. Mrs. Sandler benötigt fast eine Stunde. Als sie dann auftaucht in ihrem knallroten Chiffonkleid mit dem geschickt geschnittenen Dekollete, das ein wenig von dem preisgibt, was es zu verhüllen scheint, macht sie sogar in der Nobelherberge Furore, und das heißt etwas in New York. Sie zeigt nicht sehr viel Haut, doch genug, um Appetit auf den ganzen Körper zu machen. Die meisten Männer in der Halle müssen den gleichen Geschmack haben, denn sie starren Gipsy an, zum Ärger ihrer Begleiterinnen, getreu der Gewohnheit: Man ist Mann. Die Bewunderte scheint gewachsen zu sein. Sie geht sicher auf Schuhen mit den höchsten Absätzen, die Robert S. Steel je gesehen hat; ihre schicke Garderobe trägt sie wie selbstverständlich, in erster Linie führt sie sich vor.
    Der Mann, der sie erwartet, erhebt sich, geht ihr entgegen, rückt ihr den Sessel zurecht, begegnet furchtlos den Blicken der Umsitzenden, die ihn am liebsten mit den Augen töten würden. »Im Harem sitzen heulend die Eunuchen«, zitiert er einen Kalauer, den er in Deutschland aufgeschnappt hat. »Die Lieblingsfrau des Sultans ist entfloh'n.«
    »What did you say?« fragt Gipsy und nimmt Platz.
    »It's really not that important«, erwidert er lächelnd. »Only a German saying. Sie sehen so gut aus, Gipsy, daß Sie mich neidisch auf mich selber machen. Mußten Sie Überstunden bei ›Myers & Niggel‹ machen?« fragt er dann.
    »Die Besprechung hat sich in die Länge gezogen«, berichtet die Vielbeachtete. »Aber alles in allem war sie recht erfreulich. Ich will Sie nicht mit diesen fachlichen Dingen langweilen, Bob, aber an jedem Werbeetat verdienen wir fünfzehn Prozent, müssen allerdings die Spesen selbst tragen. Das Europageschäft ist

Weitere Kostenlose Bücher