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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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groß im Kommen. ›Myers & Niggel‹ war eine der ersten Firmen, die das begriffen haben; die anderen machen es uns nach, aber wir haben die Nase vorn.«
    Steel nickt, wiewohl er ihr nicht richtig zuhört. Sein Blick gleitet von dem schnurgeraden Scheitel abwärts zur Nase, dem Kinn, verfängt sich zwangsläufig in ihrem Dekollete.
    »Attention, Bob!« sagt Mrs. Sandler lachend. »Ihre Augen sind in den Schacht gefallen.«
    »Aber da liegen sie gut, verdammt gut«, erwidert er, keine Spur zerknirscht. »Ich muß zugeben, Sie verstehen wirklich viel von Produktwerbung, Gipsy.«
    »Danke«, erwidert sie. »Am liebsten hätten mich ›Myers & Niggel‹ gleich nach Europa zurückgeschickt. Diesmal nach Rom; wir vertreten in Europa bereits ›General Motors‹, ›Coca-Cola‹, ›Du Pont‹ und etliche andere Firmen. Die Geschäfte würden explodieren, wenn es uns gelänge, sie in beiden Richtungen zu führen, zum Beispiel mit ›Fiat‹ oder großen Weinfirmen oder bekannten Schuhdesignern. Wissen Sie übrigens, daß die Italiener führend in der Schuhmode sind?«
    »Ich weiß es nicht«, entgegnet Steel lachend, »aber ich sehe es an Ihren Füßen.« Es gibt ihm einen Vorwand, ihre Beine ausgiebig zu betrachten. »Schlechte Aussichten für uns, was? Kaum haben wir uns kennengelernt, fliegen Sie schon wieder aus.«
    »Ich bin viel unterwegs, Bob, aber niemals aus der Welt. In Rom wohne ich im ›Excelsior‹, in Paris im ›Ritz‹ und in London im ›Claridge‹ …«
    »Vornehm geht die Welt zugrunde«, blödelt der Lover in spe.
    »Meine Firma besteht darauf«, erklärt die Dunkelhaarige. »Aus Repräsentationsgründen. Wir stehen jetzt an dritter oder vierter Stelle im Umsatz und …«
    »Schon gut«, wehrt der Mann aus Arizona weitere Feststellungen ab. »Ich wollte Ihnen gerade einen Trip in meine Heimat zum Grand Canyon vorschlagen.«
    »Vielleicht können wir ihn eines Tages nachholen«, entgegnet Gipsy und sieht ihn lächelnd an. »Haben Sie Heimweh, oder wollen Sie sich als Cowboy im Sattel vorführen?«
    »Wenn Sie wollen, als Messerwerfer, Lassoschwinger oder auch als Feuerschlucker«, versetzt er.
    »Sorry«, erwidert sie. »Ich rede immer nur von mir. Wie ist es Ihnen am ersten Tag ergangen?«
    Der zivile Captain wartet, bis der Ober die beiden Highballs abgestellt hat. Dann hebt er das Glas. »Cheers, Gipsy!« sagt er. »Auf uns – und auf meinen Abgang bei der US-Army.«
    »So schnell?«
    »Ich werde morgen offiziell verabschiedet. Vom Verteidigungsminister persönlich. In Washington.«
    »Gratuliere, Captain!«
    »Major, bitte«, erwidert er spöttisch renommierend: »Ehre, wem Ehre gebührt.«
    »Marvellous, Bob«, versetzt die schwarze Madonna. »Bottons up, Major!«
    Sie vertreten sich die Beine, schlendern downtown bis zum Broadway und nehmen im Prominententreff bei ›Sardi's‹ einen weiteren Cocktail, fahren dann mit dem Taxi nach Chinatown. Beide sind ein bißchen beschwipst und lachen, weil ihnen beim Essen der Reis immer wieder von den ungewohnten Stäbchen fällt.
    »Man ißt länger und wird nicht dick davon«, sagt Gipsy lachend: »Deshalb komme ich so gern hierher.«
    Steel legt den Arm um sie und küßt sie mitten im Lokal. Ein paar Umsitzende reagieren verärgert, andere belustigt. New York ist nicht Paris, aber die Toleranz wird sich ausbreiten, zumindest zwischen Hudson und East River, dem ›Big Apple‹, in den jeder gern bisse.
    »Du muß morgen vermutlich schon bald aus den Federn?« fragt die schwarze Madonna.
    »Ich bin ein Steher …«
    »Auch ein Aufsteher?«
    »Wer sich erheben will, muß zuerst einmal stürzen«, erwidert er anzüglich. »Ich möchte stürzen – und zwar in deine Arme.«
    Nach einem kurzen Abstecher in einen Jazzkeller in Greenwich Village fahren sie zum Hotel zurück und nehmen im hauseigenen ›Trader Vic's‹ den unwiderruflich letzten Drink. Einen Moment lang erinnert sich Robert S. Steel an seine Militärzeit, wo er als Infanterist vor dem Sturmangriff Schnaps tankte; aber er trägt keine Stiefel, sondern elegante Slippers, und seine Attacke wird nicht feldmarschmäßig ausgeführt.
    Er erhebt sich höflich und bittet seine Dame um den nächsten Tanz.
    Sie bewegen sich zum erstenmal gemeinsam rhythmisch; es klappt auf Anhieb. Er führt gut und aggressiv, dabei sieht er sie voll an. Linksdrehung. Er beugt sich über sie. Rechtsdrehung. Ihre Nähe macht ihn heiß und wild. Wechselschritt. Ihre dicht aneinandergedrängten Körper gehen auf Distanz

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