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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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der Vereinigten Staaten, das wie kein anderes die Fingerabdrücke der Schöpfung trägt, läßt ihn kalt, ist kaum mehr als eine herrliche Ansichtskarte mit schroffen Bergspitzen, bizarren Felsgraten, mit glühender Wüste, mit Indianern, Sonderlingen, Lassowerfern und Lungenschwindsüchtigen. Sein einziger Bruder fiel auf einer Pazifikinsel im Nahkampf mit den Japanern; seine Mutter erlag kurze Zeit später der Angina pectoris. Sein Vater, nach New York gezogen, hatte sich in Arbeit und Whisky gestürzt – immer mehr Bourbon und immer weniger Aufträge. Auf einer Heimfahrt prallte er frontal gegen einen Baum; es wurde nie ganz geklärt, ob der Alkohol oder die Lebensmüdigkeit das gewaltsame Ende verursacht hatte.
    Zu diesem Zeitpunkt war der einzige Überlebende der Familie gerade über den Rhein gestürmt. Der Krieg hatte ihm nicht viel Zeit zu Trauer und Besinnung gelassen. Kurz danach wurde Steel zum Leiter der Sonderkommission befördert, die das ›Unternehmen Bernhard‹ untersuchte. Er hatte eine Aufgabe, Macht und Abenteuer.
    Endlich heimgekehrt, spürt er in einer überfüllten, aus den Nähten platzenden Stadt seit langem erstmals wieder die innere Leere; einige entfernte Verwandte nähmen ihm diese Empfindung auch nicht. Er geht in die nächste Pinte, um etwas dagegen zu tun, aber er hält sich nicht lange auf. Steel pflegt auch dann pünktlich zu sein, wenn er sein Bewußtsein mit Promille wattiert hat. Lautsprecher rufen zur letzten Wahlrede von Präsident Truman; ein Wagen nach dem anderen, die Durchsagen jagen sich wie ein Echo. Der Demobilisierte schüttelt den Kopf; Trumans Mut in der Höhle des Löwen ist beachtlich. Sein Rivale Dewey, schon zum zweitenmal gewählter Gouverneur des Staates New York, hatte in der Mitte der dreißiger Jahre als Generalstaatsanwalt mit Verve, Ungestüm und harten Bandagen die Mafia zerschlagen – von deren Existenz die US-Bürger erst zu dieser Zeit erfuhren. Hier kämpft David gegen Goliath, aber das eine ist biblische Geschichte und das andere ein moderner Massenwahlkampf.
    Der Heimkehrer sieht auf die Uhr und zahlt. Der CIC-Offizier ist gewohnt, seine Umgebung im Blick zu haben, bewußt oder unbewußt. Was seine Netzhaut erfaßt, speichert sein Gedächtnis, auch Nebensächlichkeiten, die er später abrufen kann. Schließlich war er Abwehroffizier der US-Army und laut Beurteilung einer der besten. Das ist Robert S. Steel so gut wie immer: Er erhielt die Platzziffer eins beim juristischen Examen seines Jahrgangs an der New York University. Man überreichte ihm als erstem Rekruten seines Regiments das Offizierspatent. Er schnappte sich die hübschesten Mädchen und durchlief die schnellste Karriere. Einer, der sich in jedem Sattel zurechtfindet und zwei gegensätzliche Voraussetzungen für den Erfolg mitbringt: Härte und Flexibilität.
    Kurz bevor Steel die Bank erreicht, stehen auf einmal alle Autos still. Veteranen des Zweiten Weltkriegs blockieren die Fahrbahn. Es ist eine Großdemonstration. Die demobilisierten Soldaten führen Schilder mit: ›Wir warten auf den Dank des Vaterlands‹, ›Gebt uns endlich Arbeit!‹, ›Wir haben für euch gekämpft, jetzt laßt ihr uns im Stich‹, ›Fünf Kinder und kein Job‹. Nicht wenige, die Arbeit oder eine bessere Versorgung verlangen, sind auch in den USA einarmig oder einbeinig. Auch bei Siegernationen gibt es Verlierer, so wie auf der anderen Seite keineswegs alle Geschlagene sind. In jedem Krieg fallen viele und profitieren etliche.
    Am ersten Tag bedrängt Amerika den Heimkehrer mehr, als es ihn beglückt; aber New York ist nicht Amerika, und dem ersten wird ein zweiter Tag folgen. Ohnedies ist er entschlossen, künftig da zu leben, wo es ihm Freude macht, und die Voraussetzungen dafür bringt er mit.
    Er betritt die Schalterhalle der Chase-Manhattan-Filiale und wird vom Kassierer sofort als Stammkunde erkannt.
    »Mr. Sillitoe erwartet Sie schon in seinem Büro, Mr. Steel«, begrüßt ihn der aufmerksame Bankbeamte, öffnet die hölzerne Barriere und gibt den Weg in die erste Etage frei.
    Der Mann, der ihn empfängt, ist gekleidet wie ein Bestattungsunternehmer an seinem freien Tag. »Coming home?« begrüßt er den Kunden und geht ihm entgegen. »Willkommen in der Heimat. Ich hoffe, Sie werden sich rasch wieder einleben.« Mr. Sillitoe achtet sorgfältig darauf, erst nach dem Besucher Platz zu nehmen. Er wirkt beflissen, fast devot, aber er ist ein mit allen Wassern gewaschener Profi, vertraut mit den Finten

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