Pink Christmas 2 (German Edition)
Seite zersprungen war. Im Ganzen wirkte nichts sonderlich einladend, sondern düster und depressiv. Das war die perfekte Atmosphäre für all jene, die täglich hierher kamen, um ihre schlechte Stimmung gewollt zu steigern und ihren Frust in Alkohol zu ertränken.
Ich öffnete die Tür. Ein Windspiel heulte auf. Die Tür fiel stumm hinter mir zu. Normalerweise war die Kneipe gut besucht. Am heutigen Abend hatten allerdings nur wenige ihren Weg hierher gefunden. Zwei saßen direkt am Tresen und drehten sich kurz zu mir um. Einen von ihnen kannte ich. Er wohnte nur wenige Kilometer weiter und lebte von Hartz IV, nachdem er zuvor für einen Autodiebstahl belangt worden war. Um seine vier Kinder kümmerte sich seine Frau, die nebenbei als Grundschullehrerin im benachbarten Ort arbeitete.
Ich nickte als Begrüßung in Joes Richtung. Er nickte zurück. Wir nannten ihn den großen Joe, weil er gefühlte zwei Meter groß und einen Meter breit war. Mit seinem Bierbauch passte er kaum hinter den Tresen. Dreck klebte an seiner Schürze, Zigarettenasche und Alkoholreste.
Ich sah mich kurz um und entschied mich für einen Fensterplatz. Mittlerweile schneite es nicht mehr. Vor mir auf dem Tisch stand ein Aschenbecher. Eine Versuchung. Ich hatte das Rauchen vor etwas mehr als einem Jahr aufgegeben. Liz zuliebe.
„Whiskey, wie immer?“, rief Joe in meine Richtung. Nebenbei warf er sich das karierte Handtuch, das er zuvor als Lappen missbraucht hatte, über die Schulter.
Ich nickte knapp.
Wie immer , hallte es durch meinen Kopf.
War es schon so weit? Hielt ich mich schon so oft in diesem dreckigen Schuppen auf, dass es auf Außenstehende normal wirkte?
Ich lehnte mich zurück. Mein Blick verlor sich in der Dunkelheit, die draußen herrschte. Ich musste mich beherrschen, nicht ans Rauchen zu denken. Am heutigen Abend fiel mir das besonders schwer.
Nur beiläufig nahm ich wahr, wie Joe das Glas vor mir auf den Tisch stellte.
„Das nächste Mal selbst abholen, klar? Ich bin keine Kellnertussi“, motzte er.
Ich nickte erneut. Von meinem Drink war etwas Whiskey übergeschwappt. Als ich das Glas zu mir zog, hinterließ es eine feuchtdunkle Spur auf dem Tisch.
Ich nippte an der braunen Flüssigkeit und behielt sie eine Weile im Mund, bevor ich sie herunterschluckte. Das machte ich immer so. Eine Art Tick oder so was. Ich nahm noch einen Schluck auf die gleiche Art und Weise und lehnte mich anschließend wieder zurück. Nun überließ ich es dem Alkohol, meine Sinne zu betäuben. Meine Gedanken hatte ich längst abgeschaltet. Im Grunde schon lange vor diesem Abend. Im Grunde zu dem Zeitpunkt, als ich mit meinem Buch nicht mehr weitergekommen war.
Ich seufzte und nahm einen weiteren Schluck. Mein Buch. Das war ein leidiges Thema. Ich verdrängte es lieber, als weiter mit mir selbst darüber zu debattieren, wann ich es weiterschreiben würde. Ich war hängengeblieben. Mitten in Kapitel vier. Ab da war es nicht mehr weitergegangen.
Einer der beiden Kerle am Tresen stand auf. Es war der, den ich nicht kannte. Er zog seine Jacke vom Hocker, warf sie über seine Schulter und ging zur Tür. Als er sie öffnete, pfiff der Wind durch die Angeln. Die kalte Brise wehte bis an meinen Platz und verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper.
„Tür zu!“, schimpfte Joe. Und daraufhin fiel die Tür zu. Dieses Mal etwas lauter.
„Tut mir leid“, entschuldigte sich eine ruhige Männerstimme. Joe ging nicht darauf ein. Ich hingegen war neugierig, lehnte mich ein Stück nach links und blickte Richtung Eingang. Dort stand tatsächlich jemand, den ich noch nie zuvor in dieser Gegend gesehen hatte. Es war ein junger Kerl, vielleicht Anfang dreißig, mit einem langen schwarzen Mantel und einer grauen Mütze, unter der ein paar blonde Haarsträhnen hervorlugten. Er schien zu bemerken, wie ich ihn anstarrte und blickte zurück.
„Ist was?“, fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich ab. Doch der Kerl ließ nicht locker. Er kam näher und stellte sich zu mir an den Tisch.
„Sind Sie etwa …“, begann er dann und seine Augen formten erst nachdenkliche, dann ungläubige Schlitze. „Sind Sie etwa Martin Werk?“
Er kannte tatsächlich meinen Namen. Im ersten Moment war ich nicht sonderlich überrascht darüber. Immerhin war ich Autor und hatte mit „Das Geheimnis des roten Sees“ schon mal einen Bestseller gelandet. Doch im zweiten Moment verblüffte mich der junge Kerl. Der besagte Bestsellerroman lag schon Jahre
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