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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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für
Laser-Augenoperationen. Lilys Kleider lagen vorwurfsvoll überall auf dem Boden
verstreut. Ich zog mir eines ihrer Neckholder-Tops über den Kopf, um das
stinkende T-Shirt loszuwerden, das ich nun schon seit einer halben Ewigkeit
trug. Dazu meine Jogginghose und die ausgetretenen Turnschuhe. Zum Schluss
stopfte ich noch mein Adidas-Kapuzenshirt in den Rucksack.

[44]  6
    Die Straßen von Venice Beach waren zwar ruhiger als am
Morgen, aber nicht weniger seltsam. Auf der Bank, wo David und ich Lilys
Zigaretten geraucht hatten, saßen jetzt ältere Damen mit gigantischen Sonnenbrillen
und strickten. Überall Inlineskater, die im Zickzackkurs um aufgepumpte
Bodybuilder und Touristen mit Bauchtaschen über den weiten pastellfarbenen
T-Shirts fegten. Ich blieb stehen und sah einer alten Frau zu, die Tarotkarten
legte, und einer jüngeren im Batikgewand, die aus Muscheln Schmuckkästchen
bastelte. Schließlich stand ich wieder vor dem Pink Hotel, in einer Hand den
Koffer. Bei Tageslicht sah dort alles anders aus, heruntergekommener; Konservenlachen
von einer Fernsehserie hallte durch die Lobby, ein paar Surfer tranken auf
durchgesessenen Sofas Softdrinks. Noch immer standen überall Bierflaschen und
überquellende Aschenbecher herum, und es roch so muffig, als wäre überhaupt
noch nicht saubergemacht worden. Das Mädchen hinter der Rezeption schaute über
ihre Ray Ban hinweg zu mir hoch. Die Haut unter den Sommersprossen hatte eine
ungesunde Blässe.
    »Wir haben alle einen höllischen Kater, Kleine, sorry«, sagte sie gedehnt.
»Ich bin bestimmt nicht diejenige, die heute Mr Harris weckt. Vergiss es.«
    [45]  »Er wird mich aber treffen wollen«, erwiderte ich.
»Wahrscheinlich sucht er mich sogar.«
    »Der sucht niemanden, darauf kannst du dich verlassen«, sagte sie.
»Gestern hatten wir hier ’ne Riesenparty, und jetzt streiken auch noch die
Putzfrauen und… verstehst du? Es ist einfach kein guter Tag.«
    »Er hat mich gestern Abend gesucht«, wandte ich ein.
    »Der will keinen Menschen sehen«, sagte
sie. »Er schläft.«
    Ich schwieg und sah zu, wie das Mädchen vor meinen Augen womöglich
noch blasser wurde.
    »Aber du hast heute schon mit ihm gesprochen?«, fragte ich. Sie
zuckte die eckigen Schultern.
    »Da oben läuft der Fernseher, und ich hab ihn schon herumtrampeln
hören. Aber jetzt schläft er, komm also später wieder, wenn du ihn wirklich sprechen
musst.«
    Ich zog einen Moment in Erwägung, den Koffer einfach bei der
Rezeptionistin zu lassen, doch ich wollte ihn nicht aus der Hand geben, bevor
ich mit Richard gesprochen hatte. Darüber, warum Lily Krankenschwester geworden
war, zum Beispiel, und über ihre Zeit als Model. Ich wollte wissen, ob sie mich
je erwähnt hatte und ob er ihr diese Liebesbriefe geschrieben hatte.
    »Kann ich eine Nachricht hinterlassen?«, fragte ich.
    »Klar«, sagte sie und gab mir Zettel und Stift, aber mir fiel nichts
ein, was ich hätte schreiben können.
    »Richte ihm einfach aus, dass jemand da war, um den Koffer
zurückzubringen«, bat ich. »Ich schaue in ein paar Tagen wieder vorbei.«
    »Alles klar«, antwortete sie mit einem Blick auf das [46]  Gepäckstück
in meiner Hand. »Ich sag ihm, dass du noch mal wiederkommst. Wie war doch
gleich der Name?«
    »Er kennt mich nicht«, antwortete ich. »Sag einfach, die, die den
Koffer genommen hat.«
    »Alles klar«, wiederholte sie und runzelte einen Moment die Stirn,
ehe sie sich wieder ihrem Computerbildschirm zuwandte.
    Auf dem Parkplatz eines 7-Eleven in der Nähe des Pink Hotel rauchte
ich ein paar von Lilys Zigaretten. Vielleicht war Richard so zugedröhnt
gewesen, dass er sich überhaupt nicht mehr daran erinnerte, wie ich den Koffer
gestohlen hatte. Mit dem Daumennagel fummelte ich an einer der Metallschließen
herum, die unter der Westküstensonne heiß geworden war. Ich hatte das
Bedürfnis, das purpurrote Seidenkleid anzufassen. Bei der Vorstellung spannte
sich meine Haut wie sonst nur beim Gedanken an meine Babydecke.
    Nach einer Weile betrat ich den 7-Eleven und kaufte bei dem Teenager
an der Kasse eine Telefonkarte. Die Tasten des öffentlichen Telefons auf dem
Parkplatz waren klebrig, und es klingelte ewig, bis Daphnes verärgerte Stimme
aus dem Hörer drang. Ich konnte sie vor mir sehen, wie sie da im Dunkeln stand,
das Gesicht aufgedunsen vom Schlaf und glänzend von der blumig duftenden
Feuchtigkeitscreme. Vielleicht hatten die Rüschen ihres Spezialseidenkissens
mal wieder ein Muster auf ihren

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