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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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immer, mit einer durchgängigen Linie
aufgeschrammter Haut wie ein Kuss, dessen Prickeln ich an den Innenseiten
meiner Knie spürte.
    Es lässt sich schwer erklären, weshalb ich einen Adrenalinschub
bekam, wenn mir jemand den Turnschuh in die Schulter rammte oder wenn ich mir
das Knie aufschürfte und Blut auf kurzgeschorenem Rasen roch. Ich mochte das
befreiende Gefühl, wenn kalte Luft stechend in meine Lunge drang, und das Innehalten,
wenn ich Schmerz auf meiner Haut spürte. Es war mir lieber als das flüchtige,
unsichtbare Gefühl von Lust, das Liebe oder Zuwendung offenbar mit sich bringt.
Es heißt zwar, Mädchen seien subtiler, wenn sie sich für Gewalt entscheiden,
aber ich brauchte sehr lange, um Sex und Anziehungskraft zu entdecken.
Stattdessen zerschrammte [34]  ich mir die Knie, spuckte Jungs an, bis sie sich
auf dem Fußballplatz mit mir prügelten, zog mir blaue Augen und zerbissene
Lippen zu und begab mich zur Mutprobe ins Brombeergestrüpp – mitten in der
Nacht liefen wir darin barfuß auf Freunde zu, bis unsere Knöchel blutige
Schrammen hatten.
    Wenn man sich eine Nadel in die Haut sticht, erreicht das
Schmerzsignal mit einer Geschwindigkeit von dreißig Metern pro Sekunde das
Hirn. Das hab ich in Bio gelernt. Verbrennungen und andere Schmerzen bewegen
sich mit nur knapp zwei Metern pro Sekunde fort. Schmerz kam mir so viel
berechenbarer vor als Lust und war längst nicht so beängstigend, wie gar nichts
zu spüren. Mit fünfzehn war mein Körper eine von Narben übersäte Landkarte, mit
der ich die jeweilige Schlägerei oder den Sturz nachvollziehen konnte, die jene
bleibenden Male auf meinen Knien und Ellbogen verursacht hatten, die Schnitte
quer über Augenbrauen und Schlüsselbein, die unregelmäßig gepunkteten Linien
auf meinen Knöcheln. Eine Narbe auf meinem Po rührte daher, dass ein Junge mich
in einen Müllcontainer gestoßen und ein Stück Metall meine Jeans aufgerissen
hatte, der Schnitt an meinem Handgelenk war entstanden, als ich während einer
Fußballrauferei auf eine Glasscherbe gefallen war und genäht werden musste, ein
anderer an meinem Arm, als mich jemand vom Skateboard geschubst hatte. Auch
wenn ich mich manchmal kneife und mir geistesabwesend auf der Unterlippe herumbeiße,
habe ich mich nur einmal bewusst »selbst verletzt«: eine zehn Zentimeter lange
Messerwunde an der Innenseite [35]  eines Oberschenkels. Ich war zwölf und hatte
mich zu diesem Zweck auf den Badewannenrand gesetzt. Es tat nicht mal richtig
weh. Ich bereute es. Es war eher interessant als aufregend. Aufzuhören fiel mir
schwerer, als weiterzumachen. Ich empfand keinen Nervenkitzel, keine
Befriedigung; jemand anderes musste es tun, damit ich zur Ruhe kam.
    Während David und ich auf der Holzbank Lilys Zigaretten rauchten,
löste sich meine Nervosität auf wie die Dunkelheit. Ein hagerer Mann mit
Ghettoblaster auf der Schulter glitt auf Inlinern an uns vorbei. Etwa hundert
Meter von der Bank setzte er ihn ab, rief: »Here we go! Here
we go!«, und drehte auf seinen glitzernden Inlinern Pirouetten. Eine
Szene wie aus einem Fantasia- Cartoon der
Hip-Hop-Generation. Es dauerte nicht lange, und nackte Kleinkinder wurden in
Einkaufswagen über die Promenade geschoben. Sie tranken Milchshakes aus
Bechern, so groß wie sie selbst. Auf dem Gehweg wurden DJ -Decks
aufgebaut, und ferngesteuerte Spielzeugtrucks rammten unsere Bank, angekläfft
von winzigen Hündchen mit albernen T-Shirts.
    »Tut mir leid, dass deine Freundin gestorben ist«, sagte ich zu
David.
    »Mir auch«, erwiderte er achselzuckend und schob sich seine
lächerlich neongelbe Sonnenbrille über die Augen. »Aber das mit deinem Freund,
der dein Auto geklaut hat, ist auch so was von scheiße«, fügte er noch hinzu.
Ich verspürte den Drang, ihn zu berühren. Im Sonnenlicht sah er verstört, blass
und betrunken aus.
    [36]  »Was hast du jetzt vor?«, fragte er, ohne zu lächeln.
    »Wahrscheinlich irgendwelchen Touristenkram machen, und dann nach
Hause.«
    »England?«
    »London.«
    »Dein Exfreund ist Engländer?«
    »Ja«, sagte ich. Ich fragte mich, ob meine Herkunft David an Lily
erinnerte, aber auch diesmal hatte es nicht den Anschein.
    »Hattest du Streit mit ihm, bevor er dein Auto gestohlen hat?«,
fragte David.
    »Er ist mit ’ner Kellnerin aus irgend ’nem Diner abgehauen. Vor ein
paar Tagen haben sie Telefonnummern getauscht, während ich auf dem Klo war. Er
hat schon so schuldbewusst geguckt, als ich wiederkam. Und sie ist meinem

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