Pink Hotel
Blick
ausgewichen, als sie mir meine Pancakes serviert hat, aber ihm hat sie verstohlen
zugelächelt. Du weißt, was ich meine?«, sagte ich und befingerte zitternd den
Schirm meiner Mütze. Ich war noch nie im Leben in einem Diner gewesen, kannte
sie nur aus dem Kino und aus Büchern.
»Ich muss mich übergeben«, sagte David plötzlich wie zu sich selbst.
»Ich hab schon lange nicht mehr geschlafen.«
»Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Normalerweise warte ich, bis ich eine Frau besser kenne, ehe ich
vor ihren Augen kotze und umkippe«, sagte er und versuchte, beim Aufstehen zu
lächeln. Er machte auf seinen übergroßen Füßen keinen standfesten Eindruck.
[37] »Ist auch wirklich alles klar mit dir? Kann ich dich irgendwo
hinbringen?«
»Für eine Grabräuberin bist du sehr höflich«, sagte er.
»Ganz sicher alles in Ordnung?«, wiederholte ich, weil ich ihm
helfen wollte.
»Ich komm klar«, sagte er. »Hat mich
gefreut.«
»Schlaf gut«, sagte ich stirnrunzelnd. Kaum merklich hinkend, was
ihm etwas von einem dieser Möchtegerngangster gab, wankte er die inzwischen
übervölkerte Strandpromenade entlang, ehe er abbog, um sich in einer
Seitengasse zu übergeben.
[38] 5
Ich trug Lilys Koffer zu einem Hostel etwas abseits der
Strandpromenade. In dem Zimmer, das ich bekam, gab es zwei Betten mit
quietschenden Sprungfedern, und in den Mückengittern hatten sich Fliegen
verfangen. Jedes Mal, wenn unten ein Auto vorbeifuhr, leuchteten die Wände
gelb. Ich kam mir vor wie in einer Glühbirne, die gerade den Geist aufgab. Es
stellte sich heraus, dass ich Lilys Portemonnaie gleich mitgestohlen hatte, als
ich mir ihre Handtasche schnappte, mit weiteren hundert Dollar, ein paar
Kreditkarten und ihrem Führerschein. Das Führerscheinfoto starrte mich böse an.
Vermutlich fällt es den meisten Leute nicht schwer, sich daran zu erinnern, wie
ihre Mutter ausgesehen hat, doch alles, was ich hatte, waren ein paar Fotos
oder Eindrücke rein körperlicher Art, schemenhafte Bruchstücke: wie sie einmal
in einem Supermarkt meine Hand zu fest hielt, wie ihre Beine sich anfühlten,
wenn ich sie umklammerte, und wie unwahrscheinlich tröstlich meine Seidendecke
war, die mir die ältere Schwester meines Vaters kurz nach der Geburt geschenkt
hatte und in die Lily mich oft einwickelte. Manchmal, wenn ich nervös bin,
spannt die weiche Haut zwischen meinen Fingern und beginnt zu kribbeln, weil
sie sich an diese seidene [39] Kuscheldecke erinnert, die ich als Baby zwischen
meinen Fingern knautschte. Es sind zuweilen seltsame Dinge, die mich an Lily
erinnern, allerdings passiert das nicht sehr oft. Zum Beispiel gibt es eine
bestimmte billige Haartönung, von der mir immer schlecht wurde, obwohl ich mich
unmöglich an den Geruch von Henna und Peroxid erinnern dürfte, schließlich war
ich damals noch keine drei. Auch bin ich davon überzeugt, dass wir zu der Zeit,
als Lily uns verließ, von einer Marienkäferplage heimgesucht wurden, aber Dad
erinnert sich an nichts dergleichen.
»Keine Marienkäfer«, behauptet er, aber es sieht ihm ähnlich,
vergessen zu haben, wie sich diese kleinen roten Schalen mit Beinchen nach und
nach vermehrten, bis sie in meinem Badewasser ertranken und sich in die Falten
meiner Babykleider verirrten. Eigentlich sollen Marienkäfer ja Glück bringen;
seltsam, wenn man das Lied bedenkt vom Vater, der im Krieg ist, und der Mutter
im abgebrannten Pommerland – oder war das ein Maikäfer? Egal. Diese Marienkäfer
flogen jedenfalls zu jeder verfügbaren Lichtquelle, um dann sofort von der
Hitze zurückzuschnellen, panisch, ein wenig verlegen, wie ein Kind, das einen
Elektrozaun angefasst hat. Sekunden später steckten sie ihre Petticoat-Flügel
unter die harten Schalen zurück und strebten erneut Richtung Glühbirne. Ich war
mir sicher, dass es in den Lampenfassungen von Schlafzimmer und Küche ganze
Massengräber gegeben haben musste, als meine Mutter wegging.
Ich zog Lilys Lederjacke aus, faltete sie über dem Arm und warf sie
auf das Bett. Dann legte ich die drei [40] gestohlenen Kleider zusammen, strich
sie glatt und stapelte sie daneben. Sie dufteten nach einem blumigen Parfüm.
Zuletzt nahm ich die Schuhe aus dem Koffer – die roten Stilettos, schwarzen
Stiefel, grauen Ballerinas –, die ich unter den Metallbeinen des schmalen
Einzelbetts neben dem Koffer aufreihte. Jeder Schuh hatte innen einen schwachen
Schmutzrand, wie Schatten, die sich dorthin verirrt hatten. Im Kofferdeckel
klemmte
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