Pink Hotel
zuschlagenden Autotüren
drang das Klingeln des Telefons zu mir. Bei dem nervös plärrenden Ton kläffte
ein dürrer Köter los. Ein anmutiger Mann mit Lipgloss und Matrosenmütze schaute
erst auf mich hinab und dann zum Telefon rüber. Als ich schon dachte, [50] er
würde gleich abnehmen, ging er einfach weiter. Es schien noch endlos lange
weiterklingeln zu wollen, doch dann hörte es plötzlich auf, und ich zündete mir
mit Lilys grünem Feuerzeug eine Zigarette an und versuchte, mich im
Sonnenschein zu entspannen. Ich öffnete den Koffer auf dem Asphalt und ließ die
kühle Seide des purpurroten Sommerkleids durch meine Finger gleiten. Mit einer
Hand rauchte ich, in der anderen hielt ich den Stoff. Nicht lange, und die
Seide war durch die Sonne so warm, dass die beruhigende Wirkung ausblieb. Die
Sonne machte alles klebrig. Ganz unten im Koffer lag ein brauner Umschlag, den
ich am Morgen nicht geöffnet hatte. Ich dachte, er sei verschlossen, doch er
war alt und klebte nicht mehr richtig. Es steckten eine Heiratsurkunde und zwei
Fotos darin. Auf dem ersten, einem verblassten Polaroid, stand »Lily Dakin
heiratet August Walters in Jackpot, Idaho«. Sie sah aus, als spiele sie
Verkleiden, in einer Art steifem Partykleid, das ihr fast die Luft zu nehmen
schien. Ihr Haar hatte sie oben auf dem Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden
wie bei einem Schulmädchen, zwei schlaffe Strähnen baumelten ihr ins Gesicht,
und die Ohrringe aus Draht und Glasperlen sahen aus wie selbstgebastelt. Der
junge Mann trug ein fadenscheiniges Hemd, das ihm zwei Nummern zu groß war, sah
aber sogar darin fast noch besser aus als Lily. Er hatte strohblondes Haar,
strahlend blaue Augen und feucht glänzende rosa Lippen, wie ein Bogen, den ein
Witz oder Fluch jederzeit verformen konnte. Beide standen zögernd an der
Schwelle zum Erwachsensein. Das Foto hatte am linken Rand eine weiße Stelle, [51] wo
die Farbe wie weggesaugt war. Der Bräutigam machte den Eindruck, als würde er
noch Spielzeugautos herumrollen lassen, wenn keiner hinsah, und die Braut, als
würde sie noch bunte Sticker sammeln oder mit Puppen spielen.
Das zweite Foto war das gleiche, das ich gerahmt in Lilys Zimmer
gesehen hatte, mit ihr und dem Rothaarigen. Ich fragte mich, wie Lily wohl ihr
diffuses, zurückhaltendes Lächeln vom ersten Foto verloren und mit der
überlegenen Ausstrahlung des zweiten ersetzt hatte. Das Bild war auf der
Rückseite nicht beschriftet, aber im Umschlag fand sich eine fotokopierte
Heiratsurkunde. Darauf stand, Lily Darkin, 23, habe Richard Harris, 30, in
Burbank, Kalifornien, geheiratet. Diesmal trug sie die Haare aus dem Gesicht
gekämmt, und man konnte die Krähenfüße um ihre Augen sehen. Ich drückte meine
Zigarette am Bordstein aus und betrat nach einem letzten Blick auf die Bilder
den Supermarkt, um die Kassiererin nach einem Telefonbuch zu fragen, das ich
mir kurz ausleihen, und einer Karte von Los Angeles, die ich kaufen konnte.
[52] 7
Das Telefonbuch listete zweiundzwanzig A. Walters in
Kalifornien auf. Ich hielt mir die klebrige Muschel des Telefons ans Ohr und
sprach mit Abigail Walters in Napa, dem Sohn von Abe Walters in Eureka, dem
Freund von Anna Walters in Santa Maria, Ashley Walters in Orange County, der
Mutter von Adam Walters in San Francisco und dann mit einer gewissen Candy
Britannia in Los Angeles, die mir erklärte, sie sei Untermieterin eines Mannes,
der August hieße. Die Handynummer oder neue Adresse dieses August hatte sie
nicht (oder wollte sie mir nicht geben), doch sie besann sich, dass er in einer
Cocktailbar in L.A. arbeitete – einer Dragon
Lounge oder Dragon Bar oder sonst was mit Drachen, auch wenn sie keine Ahnung
hatte, wo die sein sollte.
In dieser Nacht wälzte ich mich im Hostel in Venice schlaflos hin
und her, und am nächsten Morgen suchte ich mir ein Internetcafé, um die
Adressen sämtlicher »Dragon«-Läden in Los Angeles zu ermitteln, in denen man
eventuell Cocktails bekam. Da gab es The Dragon, einen Red Dragon, eine Dragon
Bar und ein Twin Dragon Drinks. Ich wusste, dass der August, den ich suchte,
längst kein Junge in meinem Alter mehr war, [53] aber etwas an ihm auf dem
Hochzeits-Polaroid bewirkte, dass ich ihn trotzdem wollte – so wie die Dinge
lagen, war er es schließlich, bei dem meine Mutter ihr Zuhause gefunden hatte,
nachdem sie mich verlassen hatte. Da ich gerade online war, tippte ich auch
gleich »David Reed« und »Fotograf« in die Google-Suchmaske und bekam einen
Haufen
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