Pink Hotel
Ergebnisse: einen Graphikdesigner in Texas, einen Informatikprofessor in
New Jersey, die Facebook-Seite eines Studienanfängers an der Northcentral
University. Dann gab es noch eine Paparazzi-Website, »The List«, wo der Name
des Riesen mit Fotos von klapperdürren »It-Girls« verlinkt war, die Limousinen
entstiegen, und mit kleinen gebräunten Männern, die allesamt Sonnenbrillen
trugen, in Nobelrestaurants aßen. Das war wohl der Richtige, dachte ich, und
klickte einen ganz unten auf der Homepage versteckten »Kontakt«-Button an, der
die Adresse ihres Büros im Zentrum von Los Angeles preisgab. Mein Rückflug nach
London ging erst in drei Tagen, und da Lilys zweiter Ehemann zu verkatert
gewesen war, um auch nur eine Treppe runterzukommen und mich zu treffen, dachte
ich, es könne nichts schaden, wenn ich den Koffer ein paar Tage behielt, um
mehr über meine Mutter herauszufinden. Vor meinem Abflug würde ich ihn
zurückgeben.
Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln braucht man in Los Angeles für
jeden Weg drei Stunden. In allen Bussen lief auf den Fernsehschirmen vorne
immer derselbe Kochsender – aus irgendeinem Grund als Zorro verkleidete Männer,
die am Strand Omelettes brieten. [54] Aus den Busfenstern heraus wirkte die Stadt
baufällig und unüberschaubar, mit gedrungenen Gebäuden zu beiden Seiten des von
der Sonne aufgeweichten Asphalt-Highways. Obwohl ich mir im Internetcafé bei
Google Maps angesehen hatte, wo ich hinwollte, und die Adressen der Läden alle
auf meiner Supermarkt-Touristenkarte eingezeichnet hatte, schaffte ich es kaum,
mich zurechtzufinden. Ich schaute mir sogar noch mal die hübsch verzierten
Straßenkarten aus Lilys Koffer an, aber die halfen natürlich überhaupt nicht
weiter. Die Kritzeleien waren bei näherem Hinsehen gar keine Routen, sondern
Muster, Bilder, Umrisse. Zog man die Linien in Wyoming und Colorado mit dem
Finger nach, ergaben sich die Konturen einer kantigen Frau mit riesigen
Brüsten; auf die Luftaufnahme von Straßen in Südafrika waren zwei geschlossene
Augen gezeichnet. Es gab eine Karte der Toskana, wo die Stadt Florenz die
Öffnung zwischen den Beinen einer Frau zu sein schien; auf einer anderen von
New York diente der Central Park eindeutig als Schamhaar, während das
Brandenburger Tor auf einem Stadtplan von Berlin die gefletschten Zähne inmitten
eines kubistischen Frauengesichts darstellte. Auf einem schlecht fotokopierten
Los-Angeles-Plan hatte man die westlichen Grenzen etlicher Bezirke mit
schwarzem Stift zur Silhouette einer Frau umgewandelt, und diese Zeichnung
hatte etwas sehr Schönes und zugleich sehr Seltsames an sich.
Mit diversen Buslinien und deren komplexer Streckenführung schlug
ich mich von Venice Beach ins Zentrum von Los Angeles durch, was etwa einer
Reise vom [55] Ellbogen der Frau auf Lilys bekritzeltem Stadtplan zu deren
Bauchnabel entsprach.
Ich beschloss, zuerst zum Büro von Davids Firma zu gehen und am
Abend dann einen der Läden aufzusuchen, der möglicherweise die gesuchte
Cocktailbar war.
In ganz Los Angeles wächst eine Pflanze, die Paradiesvogelblume oder
Königsstrelitzie heißt. Ihre Blütenblätter sind orange und klingenförmig, aber
aus einem bestimmten Blickwinkel könnte man sie für Scharen tropischer Vögel
mit schmalen Hälsen halten. Vor dem Bürohaus, in dem der Riese offenbar arbeitete,
gab es diese wildwachsenden Pflanzen büschelweise. Es war ein
heruntergekommenes Gebäude aus Beton und Glas, der Sockel von allen möglichen
Pflanzen überwuchert: Farne, Kakteen, Paradiesvogelblumen und seltsam wächserne
Bougainvilleen, die in der Sonne zu schwitzen schienen. An meinem zweiten Tag
allein in Los Angeles schwitzte auch ich auf einer staubigen Treppe vis-à-vis
dieses Bürohauses vor mich hin, drauf und dran zu verschwinden, falls David
tatsächlich zur Drehtür herauskommen oder hineingehen sollte. Allerdings war es
Sonntag, und ich nahm nicht an, dass er überhaupt ins Büro gehen würde. Die
Stufen führten in eine Art Mini-Einkaufszentrum, in dem es einen McDonald’s,
einen Dunkin’ Donuts und einen Radio-Shack-Elektronikladen gab. Ich hatte von
außen einen Blick in den Empfangsbereich des Bürohauses geworfen und eine Tafel
über der Rezeption gesehen, wo neben Anwälten, Castingagenturen und Graphikdesignern
auch »The List [56] Photographic Agency« aufgeführt war. Der Platz hinter dem
Tresen war zwar besetzt, doch die Empfangsdame las in einer Klatschzeitschrift,
und kaum jemand betrat oder
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