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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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riechende
Hinterzimmer der Kneipe, wo er sich von einem der dort rumstehenden Kistentürme
ein Päckchen Marlboro und ein Feuerzeug griff. Die Hintertür führte auf eine
Gasse, in der offenbar angeliefert und der Müll abgeholt wurde. August zog den
unteren Teil einer Feuertreppe herunter, und meine Haut wurde ganz warm, als er
meine Hand nahm, um mir die ersten paar [72]  Sprossen raufzuhelfen, so dass ich
praktisch direkt über ihm sitzen konnte. Meinen Rucksack ließ ich unten auf dem
mit Zigarettenkippen übersäten Betonboden stehen und kletterte bis zum ersten
Treppenabsatz, wo ich mich umwandte und auf dem schwarzgestrichenen Metall
Platz nahm. August stand an die Backsteinmauer gelehnt, das Gesicht auf Höhe
meiner Knie. Er zündete meine Zigarette an, gab sie mir von seinem Mund über
meine Knie in die Hand, trat einen Schritt zurück und zündete seine eigene an.
Wir nahmen beide einen Zug.
    »Die Kneipe gefällt mir«, sagte ich nach kurzem Schweigen.
    »Kann nicht meckern. Macht Spaß.«
    »Gehört sie dir?«
    »Ich bin der Geschäftsführer. Zurzeit wohne ich da oben«, und er
zeigte auf ein Fenster über der Kneipe. »Was hast du in L.A. gemacht? Hat es dir gefallen?«
    »Nur das Übliche. Touristenkram«, sagte ich.
    »Shoppen an der Melrose?«
    »So was, ja«, log ich, ohne die leiseste Ahnung, was »die Melrose«
war. Dankbar widmete ich mich meiner Zigarette. Smalltalk war einfach nicht
mein Ding.
    »Und hat’s dir Spaß gemacht?«, erkundigte er sich.
    »Klar«, sagte ich. »Kommst du aus L.A. ?«
    »Nee, aus Nevada – an der Grenze zwischen Nevada und Idaho. Bin
allerdings schon ziemlich lange hier.«
    »Hast du Verwandte in Nevada?«
    »Geschwister, klar«, sagte er und wirkte gelangweilt. Wahrscheinlich
hätte er lieber mit der jungen Frau im Businesskostüm geplaudert, die sich
Haarsträhnen um [73]  die Finger wickelte und mit den Riemchen ihrer hochhackigen
Schuhe spielte.
    »Du zitterst ja«, sagte er und legte mir beide Hände auf die Knie,
die kein bisschen zitterten. Die Luft war feucht vom Regen, aber sicher nicht
kalt. Er begutachtete meine Beine. Lilys schwarze Lederstiefel und ihr rotes
Kleid ließen meine Knie und Oberschenkel nur noch bleicher aussehen. Die
Schrammen traten überdeutlich hervor, und ich hielt die Beine mädchenhaft
zusammengepresst. Weil mir so etwas noch nie passiert war, bekam ich die
Klischeehaftigkeit der ganzen Situation – »draußen eine rauchen, Arm um die
Schulter, Smalltalk, können wir uns wiedersehen« – gar nicht mit. Wir rauchten
beide fertig, und er trat die Zigaretten auf dem feuchten Boden aus.
    »Gehen wir wieder rein?«, fragte er.
    Das war’s dann wohl, dachte ich. Er langweilte sich und wollte, dass
ich jetzt möglichst schnell ging, weil ich weder hübsch noch selbstbewusst
genug war, dass sich ein Flirt mit mir lohnte. Immerhin half er mir von der
Feuerleiter runter und hielt meine Hand fest, als ich mir den Rucksack über die
Schulter warf und ihm zurück in die Kneipe folgte, wo er das grelle Licht
dämpfte und der Raum im Halbdunkel versank. Als er mich losließ, fiel mein Arm
schlaff an meiner Hüfte hinab. Wir sahen uns an.
    »Vielleicht können wir uns mal wiedersehen«, sagte er. Im Dunkeln
brachte er sein Gesicht ziemlich nahe an meins. Sein Atem roch nach Oliven,
Wodka und Zigaretten.
    [74]  »Klar«, sagte ich.
    »Ich mag dich«, sagte er. »Aber ich werd aus dir nicht schlau. Ich
würd dich gern mal zum Essen einladen. Wie sieht’s aus?«
    Natürlich meinte er das nicht ernst, weil ich ihm schon gesagt
hatte, dass ich am nächsten Tag abreisen würde, was aber offensichtlich keine
Rolle spielte. Er kam noch näher, strich mir das wirre blonde Haar hinters Ohr
zurück und ließ seine Hand vom Ohrläppchen hinab bis zum Ellbogen über meine
Haut gleiten. Hatte ich ihm den Kopf entgegengehoben? Irgendwie küssten wir uns
plötzlich mitten in der Kneipe, und einen Augenblick später zog er den
Reißverschluss am Rücken von Lilys rotem Kleid auf, und die Seide fiel mir zu
Füßen. Es ging so schnell, dass ich keine Zeit zum Nachdenken hatte. Die ganze
Zeit hatte ich das Gefühl, als befänden sich noch andere Menschen in mir, wie
in einem überbelichteten Foto, wo verschwommene Gesichter über dem eigenen Kopf
liegen. Ich fragte mich, mit wie vielen Frauen er in dieser Gasse schon eine
Zigarette geraucht, wie viele er zum Essen eingeladen hatte, damit sie ihn
küssten und zuließen, dass er ihnen das Kleid von den Schultern

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