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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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dann. Tja«, sagte er.
    Wir schwiegen beide einen Moment lang.
    »Du hast Lily wirklich überhaupt nicht gekannt?«, fragte er
schließlich und blickte mich mit schräggelegtem Kopf nachdenklich an. Er schien
weit weg, dort am anderen Ende der Kneipe. »Hat sie dir nie geschrieben oder
dich besucht?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Tja«, machte er wieder und holte tief Luft. Auf einmal sah er
völlig verändert aus, viel erwachsener. »Es war ein Hoch und Runter. Sie war
wie ein Adrenalinstoß. Eben noch konnte sie einen superglücklich machen, im
nächsten Moment genauso unglücklich. Also ja, wir waren ziemlich oft glücklich.
Aber auch ziemlich oft unglücklich.«
    »Seid ihr euch in Los Angeles begegnet?«
    »Eigentlich in Nevada«, antwortete er. »Sie saß auf dem Bordstein
vor dem Lebensmittelgeschäft meines Vaters in Jackpot, das ist ein Städtchen an
der Grenze zwischen [79]  Idaho und Nevada. Die Haare hatte sie zu zwei Zöpfen
geflochten.« August grinste, entspannter. »Der eine lag vorn auf der Schulter,
der andere hinten auf dem Rücken. Sie hatte so einen total scharfen blauen
Minirock an, klar, irgendwie geschmacklos, aber auf kindliche Art, weißt du? So
als gehörte er zu einer Schuluniform. Sie war gerade mal achtzehn. Und ein
weißes Top mit aufgestickten blauen Vögeln am Halsausschnitt.«
    »Was hat sie in Jackpot gemacht?«, fragte ich. Ich stellte mir vor,
wie August mitten in einer gesichtslosen Kleinstadt über den heißen
Schnellstraßenasphalt auf meine blutjunge Mutter zuschlenderte. Und weiter, wie
Lily dasaß, die bloßen Füße im Straßenstaub, die Arme über dem Bauch
verschränkt. Wie sie dann eine Hand mit den sorgfältig lackierten Nägeln zum
Schutz vor der Sonne hob, die so grell herabbrannte, dass es aussah, als würde
das trockene Gras um den Lebensmittelladen jeden Moment Blasen werfen oder
Feuer fangen – und in meiner Vorstellung lächelte August ihr zu.
    »Sie hatte gar nicht vor, nach Jackpot zu kommen«, sagte August.
»Niemand hat das je vor. Sie war von New York nach L.A. unterwegs, mit Greyhound-Bussen und per Anhalter. Irgendein Lastwagenfahrer
hatte sie belästigt, da war sie ausgestiegen.«
    »Hatte sie einen englischen Akzent?«
    »Als ich sie kennengelernt hab, war sie erst seit ein paar Monaten in
den Staaten. Als wir nach L.A. umzogen, tat sie
auf einmal so, als wär sie aus Nevada. Den Akzent konnte sie gut nachmachen,
und sie verstellte sich gern. Sich-Verstellen war ihr Hobby. Jeder Tag war ein
neues [80]  Theaterstück, weißt du? Wenn sie traurig war, zog sie sich von Kopf
bis Fuß schwarz an, wenn sie gut gelaunt war, sang sie unter der Dusche
Musicals, bis die Nachbarn an die Wände klopften. Sie ging auf Stöckelschuhen
in den Supermarkt und im Kunstpelz ins Kino. An unseren ›Schauspielabenden‹ sind
wir um die Häuser gezogen und haben so getan, als wären wir Aristokraten oder
unsichtbare Superhelden oder Ninja-Krieger. Langweilig war es mit ihr nie, aber
anstrengend.«
    »Hast du sie geliebt?«, fragte ich.
    August nickte.
    »Klar«, sagte er. »Natürlich. Ich hab sie ja geheiratet.«
    Ich durfte in Augusts Wohnung über der Kneipe übernachten, weil es
spät und das Hostel in West Hollywood ein gutes Stück entfernt war. Er wand
sich ein wenig, als ich fragte, ob ich bleiben dürfe, konnte aber schlecht
ablehnen. Die Wohnung hatte nur ein Zimmer, in dem außer einem abgewetzten Sofa
und einem winzigen Küchentisch nur noch eine Matratze lag. Nachdem er mir das
Sofa angeboten und sich selbst auf die Matratze gesetzt hatte, entspannte er
sich sichtlich. Er hatte mir eine Schlafanzughose und ein T-Shirt von sich zum
Anziehen gegeben und versuchte noch immer, mich nicht anzusehen, obwohl sein
Blick ständig zu mir rüberhuschte, über meinen Körper streifte und wieder
zurückzuckte. Ich kam mir seltsam vor, fast so, als hätte ich Macht über ihn,
wenn auch nur, weil ich ihn an eine andere erinnerte.
    »Sicher, dass ich ihr nicht ähnlich sehe?«, fragte ich August. Ich
blickte kurz auf und versuchte, weder an den [81]  Nägeln zu kauen noch lose
Nagelhautfetzen von meinen Fingern zu zupfen, bis es blutete.
    »Keine Ahnung, du wirkst irgendwie… jungenhafter, als sie es war. Du
hast einen anderen Gang. Und du scheinst auch ruhiger zu sein als sie.«
    Ich zuckte die Schultern.
    »Warum hast du dich dann von ihr scheiden lassen?«, wollte ich wissen.
»Wo du sie doch geliebt hast?«
    »Es ist nicht immer so einfach. Wir haben uns

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