Pink Hotel
Feuerleiter in
Ohnmacht zu versetzen. So wie man es mir später erklärte, bestand das Spiel
darin, ohnmächtig zu werden, während man neun Stockwerke tief in den Abgrund
sah, umgeben von Freundinnen, die den Sturz verhinderten.
Die Übergewichtige aus der Wohnung gegenüber sagte aus, die drei
Mädchen hätten zuerst hysterisch gelacht, und als das mittlere wieder zu
Bewusstsein kam, habe sie sich über das Geländer in den zugewachsenen Durchgang
darunter übergeben. Dann sei sie offenbar erneut in Ohnmacht gefallen, nur
diesmal bekamen ihre Freundinnen sie irgendwie nicht zu fassen, als ihr Gewicht
sich plötzlich verlagerte und sie nach vorne sacken ließ. Sie war erst elf und
starb direkt beim Aufprall, lang ausgestreckt im Gestrüpp. All das wurde
irgendwie bis zu der Ohnmachtslektion zurückverfolgt, die ich Anfang der Woche
erteilt hatte.
»Deine Direktorin hat angerufen«, sagte Dad, als ich an jenem
eiskalten Abend vom Fußballtraining nach Hause kam. »Du hast es geschafft. Sie
schmeißen dich von der Schule. Glückwunsch. Ich hab’s gewusst – du auf dieser
Schule, das war zu schön, um wahr zu sein.«
»Häh?«, machte ich begriffsstutzig, außer Atem, nachdem ich auf dem
ganzen Heimweg den Ball vor mir [179] hergekickt hatte und dann die Treppe raufgerannt
war. An dem Nachmittag hatte ich geschwänzt, um Fußball zu spielen, und wusste
nicht einmal, dass das kleine Mädchen von der Feuerleiter gefallen war. Ich war
mit ein paar Freunden von meiner alten Schule unterwegs gewesen und hatte weder
Sanitäter noch Krankenwagen bemerkt.
»Weißt du überhaupt, was für ein Glück du hattest, auf diese Schule
gehen zu dürfen? Weißt du, was die meisten für so eine Chance geben würden? Und
ich hab gedacht, du machst was aus deinem Leben«, sagte Dad.
Er trug einen neongrünen Pullover und sah alt aus. Obwohl er erst
fünfunddreißig war, hätte er auch für fünfzig durchgehen können. Seltsamerweise
schien Dad, als er beschlossen – oder von anderen erfahren – hatte, dass ich
einigermaßen schlau war, ungeheuer stolz darauf zu sein. Einmal hörte ich, wie
er vor seinen Freunden damit angab, dass ich ein Stipendium bekam, ein andermal
prahlte er, er lasse seine Tochter immer seine Abrechnungen im Café überprüfen,
weil sie »echten Geschäftssinn« habe. Ich konnte es anscheinend zu etwas
bringen. Aber als sie mich von der Schule warfen, setzte er sich trotzdem nicht
für mich ein. Er nahm es einfach hin.
»Du bist zwar schlau, aber auch eine Scheißidiotin«, schleuderte er
mir quer durch die Küche an den Kopf.
»Was hab ich gemacht?«, fragte ich verdutzt. Schmissen sie mich
wegen dem paarmal Schuleschwänzen raus? Das war das Einzige, was mir in den
Sinn kam.
[180] »Du hast den Viertklässlerinnen beigebracht, high zu werden,
indem sie ihre Blutzufuhr unterbrechen, so sieht das zumindest die Direktorin.
Was hast du dazu zu sagen?«
»Stimmt doch gar nicht«, stammelte ich, während mir das Adrenalin in
die Adern schoss.
»Ich hab deine Ausreden satt«, sagte er und wandte sich von mir ab.
»Lass mich bloß in Ruhe mit diesem Scheiß. Sie haben dich rausgeschmissen.
Irgendein kleines Mädchen ist wegen dir gestorben, also wollen sie dich nicht
mehr an ihrer Schule haben.«
»Wer ist gestorben?«
»Sie ist von der Feuerleiter vor den Toiletten im neunten Stock
gefallen.«
»Wann?«
»Heute Nachmittag.«
Ich schloss kurz die Augen und sah es vor mir: wie ihr Kopf
plötzlich nach vorne sank und ihrer schmale Hüfte gegen das Geländer drückte,
während es um sie herum hysterisch kicherte. Vielleicht dachten ihre
Freundinnen, sie würde auch lachen, doch stattdessen schwangen ihre schlaffen
Arme nach vorn, als sich ihr Körpergewicht verlagerte und ihre kleinen
elfjährigen Füße sich vom Boden hoben. Wahrscheinlich trug sie Stöckelschuhe
wie all die jüngeren Mädchen. Wie konnten ihre Freundinnen nichts bemerken?
Vielleicht lachten sie auf diese unkontrollierte Weise, die für Teenager so
typisch ist, und sahen einfach nicht, was passierte. Bestimmt griffen sie nach
ihren Beinen, als sie schließlich stürzte, und das Lachen hörte abrupt auf.
[181] »Es tut mir leid«, sagte ich. Ich stellte mir vor, wie das
Mädchen runterfiel.
»Sag das ihren Eltern. Sag’s ihren Freundinnen«, antwortete Dad.
»Es tut mir leid«, wiederholte ich. Er sah mich nicht an. »Ich hab
einem Mädchen erzählt, wie Mary und ich es immer gemacht haben. Das ist alles.
Ich war nicht dabei, als
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