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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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ihrem
dünnen Hals.
    »Haben Sie Lily gekannt?«, fragte sie leise.
    Ich dachte kurz darüber nach, was ich antworten sollte. Eigentlich
mochte ich diesem Nervenbündel rein gar nichts anvertrauen, denn wie ihre Augen
bei der Erwähnung von Richard geflackert hatten und die Lüge, ihn seit Jahren
nicht mehr gesehen zu haben, gaben ihr etwas Verschlagenes. Auch wenn ich sie
nicht mochte, entschloss ich mich doch für die Wahrheit. Meine Stimmung war
noch immer euphorisch nach dem Abend mit David, als könnte mir nichts etwas
anhaben.
    »Ich bin Lilys Tochter«, sagte ich.
    »Lilys Tochter ?«, sagte Julie ungläubig
und lächelte zum ersten Mal. Sie hatte spitze kleine Zähne, die sie besser
nicht gezeigt hätte.
    »Rein technisch«, stellte ich klar. »Also biologisch gesehen. Sie
hat mich nicht großgezogen oder so was.«
    [169]  »Lilys Tochter ?«, wiederholte Julie im
gleichen ungläubigen Tonfall. »Ernsthaft? Ich hab Lily gekannt, seit sie
einundzwanzig war. Ich denke schon, dass sie eine Tochter erwähnt hätte.«
    »Offenbar war sie nicht besonders mitteilsam, wenn’s um mich ging.«
    Eine lange Pause entstand.
    »Ich glaub’s einfach nicht, dass du ihre Tochter bist«, sagte Julie.
Nach einem langen Blick auf mich verschwand sie nach hinten und kam zehn
Minuten lang nicht wieder. Erst dachte ich, das seien ihre letzten Worte zu dem
Thema gewesen und sie erwarte von mir, während ihrer Abwesenheit zu
verschwinden, doch dann stellte ich mir vor, sie würde mit etwas von Lily
wiederkommen – vielleicht mit noch einem Foto. Kurz dachte ich sogar, sie könnte
Richard im Schlepptau haben.
    Stattdessen hatte sie, als sie wieder hinter der Bar erschien, einen
unendlich entspannteren Ausdruck auf ihrem spitzen Gesicht, ohne eine Erklärung
für dieses seltsame Verhalten abzugeben. Ihre fest zusammengepressten Lippen
waren zu einem lebhaften Lächeln geschmolzen, und ihre knochigen Schultern um
zwei Fingerbreit herabgesunken. Ich vermutete, dass sie irgendwas geschluckt
oder geraucht hätte, später stellte sich jedoch heraus, dass sie hochgradig
heroinabhängig war. Für ihre Stimmungen, die alle paar Stunden wie Wellen von
entspannter Fröhlichkeit zu nervösem Entsetzen wechselten und, nach kurzem
Abtauchen im Hinterzimmer, wieder umschlugen, gab sie nie irgendwelche
Erklärungen ab.
    [170]  »Das ist kein dummer Scherz, das mit Lily, stimmt’s?«, sagte
Julie und sah mich mit verbrauchten Augen an. »Sag’s mir gleich, wenn du mich
verarschst, okay?«
    »Ich verarsch dich nicht. Kannst du mir von ihr erzählen? Ich hab
sie nicht gekannt, und ich würde so gern was über sie erfahren, wenn’s dir
nichts ausmacht.«
    »Weißt du, dass du ihr kein bisschen ähnlich siehst?«, fragte Julie.
    »Ja, weiß ich«, antwortete ich schulterzuckend. »Aber du kannst
Richard fragen. Richard weiß, dass sie eine Tochter hatte. Ich bin ganz sicher
ihr Kind.«
    »Nein, nein, du hast überhaupt nicht ihr Profil. Du hast eine ganz
andere Nase – ihre Nase war besser. Ihr Haar hast du auch nicht. Natürlich
hatte sie schwarze Haare, als wir sie kannten, aber es kann schon sein, dass
sie eigentlich blond war.«
    Als Julie versuchte, über den Tresen hinweg mein Gesicht zu
berühren, wich ich aus, und man konnte ihr die Kränkung förmlich ansehen, dass
ich mich von ihren knochigen Fingern nicht berühren lassen wollte.
    »Du bist überhaupt nicht wie sie«, sagte sie spitz. »Sie war sinnlich.
Liebevoll.« Nun war ich an der Reihe, kurz beleidigt zu sein; ich verzog das
Gesicht und wandte mich ab.
    »Sorry. Das war gemein von mir«, murmelte Julie. »Scheiße. Jetzt bin
ich völlig von der Rolle. Sie hat dich nie erwähnt. Du bist auf andere Art hübsch.«
    »Schon gut, mach dir keinen Kopf. Ich weiß, dass ich nicht wie sie
aussehe. Ich will auch gar nicht so wie sie aussehen.«
    [171]  Wie sich herausstellte, hatte Julie Richard seit Lilys Totenwache
nicht mehr gesehen, und sie wusste nicht, wohin er verschwunden war.
    »Allerdings schuldet mir der Scheißkerl Geld«, sagte sie.
    »Wieso das denn?«
    »Der hatte immer irgendwas am Laufen.«
    »Was zum Beispiel?«
    »Die beiden hatten viele Ideen, aber wo sie auftauchten, da wurden
gerade Dinger krumm. Nichts entwickelte sich je so, wie sie es vorhergesagt
hatten.«
    »Das versteh ich nicht«, sagte ich.
    »Aus Projektentwicklung wurde Versicherungsbetrug – so was in der
Richtung.« Vergnügt lachend fuhr sie fort: »Nachdem sie sich in der
Immobilienbranche versucht

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