Pink Hotel
beschwerte er sich, ich würde mich zu sehr breitmachen. Er sei
gastfreundlicher, als gut für ihn wäre, und frage sich, warum er einer Fremden
sein Sofa angeboten hatte. Seine Stimmungen wechselten wie bei einem Kind. Wenn
er schlecht gelaunt war, ignorierte ich ihn, doch selbst dann fand ich ihn
faszinierend. War er so einsam, dass er eine Fremde mit kleptomanischen Zügen
bei sich wohnen ließ? Er war gesellig und charmant, wenn auch etwas unbeholfen;
also warum hatte er offenbar keine Freunde? Niemand kam zu Besuch, und wenn er
wegging, sagte er nichts von Verabredungen. Wo waren die lässig-ungepflegten
Jungs von den Fotos in seiner Sockenschublade? In diesen ersten beiden Wochen,
bevor wir anfingen, miteinander ins Bett zu gehen, aßen wir oft zusammen zu
Abend. Er erzählte mir, dass er als Kind schlimme Krampfanfälle hatte und [188] dagegen
dicke weiße Tabletten nehmen musste. Im Gegenzug tischte ich ihm ausgefallene
und vollkommen unsinnige Lügen über meine Kindheit auf. Ich erzählte ihm, wie
Dad und ich Modellschiffe gebaut und sie auf dem Serpentine-See im Hyde Park zu
Wasser gelassen hätten. Dass wir zu Weihnachten immer in die Christmette gehen
würden, obwohl wir überhaupt nicht religiös waren, und dass ich einmal zur
Strafe Hausarrest bekam, weil ich ein Scrabblespiel mit dem Wort »Klitoris«
gewonnen hätte. Ich erfand eine Überraschungsparty, die Dad zu meinem
Einundzwanzigsten im Pub bei uns um die Ecke geschmissen hatte. Keine Ahnung,
wie ich auf diese Geschichten kam, aber sie brachten ihn zum Lachen. Er empfahl
mir Bücher, und ich begann mich durch seine Bibliothek zu lesen.
In Davids Wohnblock lebten hauptsächlich Mexikaner und Armenier,
hier und da auch mal ein Student oder eine Schauspielerin. Nachmittags hockten
armenische Jugendliche auf einer bröckelnden Mauer vor Davids Wohnung und
musterten unter schweren Lidern die Passanten, wie Ungeheuer neben einer
Zugbrücke aus Beton. Sie sprachen in einer Mischung aus Armenisch und
Amerikanisch, aber ihre eigentliche Kommunikation bestand aus einer Abfolge von
Blicken, Stirnrunzeln und dem schwermütigen Schulterzucken Halbwüchsiger. Sie
wussten, dass Belle, eine fette Texanerin mit Dackel, in den armenischen Hausmeister
Yuri verliebt war. Sie hörten Yuri zu, wie er Abend für Abend zwei Stunden lang
Bratsche spielte und die gedämpften Töne seiner Phantasie wie musikalisches
Heimweh durch die [189] Straßen von Los Angeles trieb. Die Jungs wussten, dass
Belle jeden Abend im Baseballtrikot am Fenster saß und Sudoku-Rätselhefte
ausfüllte, während sie der klagenden Bratsche aus dem Stockwerk unter ihr
lauschte. Sie wussten, dass Belle manchmal weinte und dass ein glatzköpfiger
spanischer Hipster heimlich rauchte, sich dazu wie eine Hure an der Straßenecke
herumdrückte und sich dann aus einer Blechdose Pfefferminz in den Mund stopfte,
damit seine Frau, eine Schauspielerin auf dem Biotrip, nichts merkte. Die
armenischen Jungs beobachteten alles und gaben ihre Kommentare ab, hatten die
bunte Mischung aus dünnen Models mit Silikonbrüsten, Schauspielern mit täglich
wechselnden Hüten, armenischen Rentnern, Thai-Köchen in weißen Overalls und Filmstudenten
mit Ray Bans immer im Blick.
Genau wie die Gegend, in der er lebte, war David schwer zu
verstehen. Mindestens zweimal täglich putzte er die Platte seines Couchtischs
mit Glasreiniger, aber wenn keine Zigaretten in der Wohnung waren, wühlte er im
Aschenbecher in den Kippen vom Vorabend nach etwas zu rauchen. Aus seinem
penibel aufgeräumten, minimalistischen Wohnzimmer trat man auf einen Balkon,
der mit kaputten Aggregaten von Klimaanlagen, Teppichen, einem verrosteten
Minigrill, einem Ventilator und einem kitschigen Plastikweihnachtsbaum mit
weißem Kunststoffengel vollgestopft war. Der Balkonboden war dick mit einer
seltsamen weißen Staubschicht bedeckt; das einzige Mal, als ich dort rausging,
hinterließ ich auf diesem Privatstrand Fußspuren. Das Gerümpel stammte vom
Vormieter, und David war noch nicht dazu [190] gekommen, es zu entsorgen – sechs
Jahre nach seinem Einzug.
Ich sagte ihm, ich sei auf der Suche nach einem Job als Kellnerin
oder in der Tourismusbranche. Aber die meiste Zeit stromerte ich einfach in der
Hitze durch die Straßen, vorbei an armenischen Großvätern, die auf dem Gehweg
Schach spielten, und an Großmüttern, die in unvorteilhaften Badeanzügen auf
bunten Liegestühlen lagen und in Zeitschriften blätterten, so eintönig wie
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