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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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angefangen hatte und nun auf den Himmel traf, und
ich konnte weder wegsehen noch dieses Gefühl von Panik unterdrücken, als würde
dort draußen jemand sterben. Dann ging ich an den Strand zurück, setzte mich
auf den körnigen Sand und sah in diesen Anfang eines kopfstehenden
Sonnenuntergangs, bis schließlich tatsächlich die Wehen einsetzten, und an der
Stelle versuchte ich immer, meine Gedanken anzuhalten. Ich wollte zurückkommen
zu dem Gefühl von feuchtem Sand zwischen meinen Zehen, ich stellte mir vor, ich
sei blind, ich sei [27]  eingeschlafen, aber mein Gedanken-Ich hörte einfach nicht
auf zu keuchen, und unter Schmerzen brachte ich das Kind am Strand zu Welt.
Danach stellte sich immer ein Augenblick unglaublicher Ruhe ein, wie das
Ausatmen, wenn man gekommen ist oder gerade die Beherrschung verloren hat. Ich
war wieder im Wasser und wusch alles Blut von dem Baby ab. Ich steckte ihm
meine Finger in den Mund, um den roten Schleimball daraus zu entfernen, und
sein Mund war ein Widerschein des Blutes am Horizont.

[28]  4
    Guten Morgen«, sagte eine Stimme. Ich konnte nicht allzu
lange geschlafen haben, weil das Licht am Strand noch immer so milchig war, als
ich von einem Kamerablitz geweckt wurde. Ich zuckte zusammen, und als mein
Blick sich klärte, erkannte ich den Riesen, der so unbeholfen versucht hatte,
das Foto der lachenden Lily aus ihrem Zimmer zu stehlen. Jetzt ragte er über
mir auf, so dass sich seine Silhouette vom nahezu menschenleeren Strand im
Hintergrund abhob, und richtete eine Kamera auf mich.
    Meine Finger umklammerten Lilys Koffer. Im ersten Tageslicht
strahlten die Augen des Riesen in einem intensiven Grün, und sein schiefer Mund
ließ eines kleiner erscheinen als das andere. Die Lippen hatte er leicht nach
vorn geschoben, vielleicht verärgert. Ich rührte mich nicht.
    »Ich heiße David Reed«, sagte er. Dann machte er noch ein Bild. »Ich
hab gesehen, wie du mit dem Koffer aus dem Hotel gegangen bist«, fuhr er fort.
»Diebin«, nuschelte er noch, betrunken. »Ich hatte nicht vor, irgendwas
deswegen zu unternehmen. Geht mich nichts an. Und dann lauf ich am Strand lang
und denk mir nichts dabei – zack – bist du schon wieder da. Und fotogen siehst
du auch noch aus.«
    [29]  »Hättest du dich mal besser weiter um deinen eigenen Kram
gekümmert«, sagte ich und stand von der Bank auf, den Koffergriff fest in einer
Hand. Er drückte wieder auf den Auslöser.
    Ich musste plötzlich an den Mann denken, der sich einmal in London
nachts im Bus vor mir einen runtergeholt hatte, sein Gesicht und sein Mund verkrampften
sich, während seine Hand immer schneller wurde. Es war faszinierend, grotesk
und erniedrigend zugleich, als hätte er versucht, mich aus der Distanz zu
begrapschen. Dieselbe Intensität meinte ich im Blick des Riesen zu spüren, der
mich ansah, als wolle er sich jeden meiner Gesichtszüge für später einprägen.
Merkwürdig, wie Männer sich Frauen aneignen können, indem sie sie nur ansehen.
Sie können die Frau mit nach Hause nehmen und in ihrem Kopf mit anderen Frauen
verschmelzen, die Länge ihrer Beine und die Nachgiebigkeit ihres Mundes so
lange verändern, bis eine völlig neue Version der ursprünglichen Person
verführerisch im Kopf eines Fremden herumtanzt. Wie gesagt, es war noch nie
meine Stärke, mit Aufmerksamkeit umzugehen. Ich reagiere empfindlich, wenn ich
die Blicke anderer auf mir spüre, es fühlt sich an, als würden sie mich
tatsächlich berühren, sogar von weitem. Zum Glück sahen mich selten Leute so
an, wie der Riese an diesem frühen Morgen am Strand oder wie der Mann in dem
Bus mich angesehen hatte.
    »Nein, nein, nein, bleib sitzen«, sagte David. »Ich bin harmlos.
Keine Angst.«
    Der Riese war eindeutig ziemlich betrunken, wenn auch vielleicht nicht
ganz so schlimm wie der Rothaarige. [30]  Er hörte einen Moment lang auf zu reden
und machte noch ein Foto. Und noch eins.
    »Ist das aus ihrem Zimmer?«, fragte er mit einem Nicken Richtung
roter Koffer.
    »Wie kommst du denn darauf?«, antwortete ich. »Das ist mein Koffer.
Ich mach Urlaub.«
    Wir konnten hören, wie die Wellen zweihundert Meter von der Bank
entfernt über den Sand rollten, und ich roch die Salzluft und den Geruch des
Riesen nach Bier, Nikotin und Alkoholschweiß. In seinem Gesicht sah ich verblasste
alte Narben – eine über der Augenbraue, eine unter dem rechten Auge, und eine
schmale Linie entlang der Nase. Um die Augen zog sich ein Spinnennetz aus
kleinen Fältchen,

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