Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
Vom Netzwerk:
die ihn aber irgendwie nicht alt aussehen ließen. Er wirkte
wie ein Junge.
    »Ich bin schon neugierig, was für eine Person das ist, die auf einer
Totenwache stiehlt«, sagte er und zuckte die breiten Schultern.
    »Sah ja auch nicht gerade nach einer Totenwache aus«, murmelte ich.
»Mehr nach ’ner Art Rave.«
    »Hast du sie nicht gekannt?«, fragte er, den Kopf schräggelegt.
    »Ich hab gedacht, es wär einfach ’ne Party«, log ich.
    »Du bist also zufällig reingeschneit?«, fragte er.
    »Mein Freund ist heute Morgen mit unserem Mietwagen abgehauen. Da
war mein ganzes Geld drin, meine Klamotten, alles«, antwortete ich. »Zeigst du
mich jetzt an oder so?«
    Er überlegte kurz und sagte dann
nachdenklich: »Nein.«
    Die Lippen vorgeschoben, setzte er sich neben mich [31]  auf die Bank.
Vor lauter Nervosität stellten sich mir die Härchen im Nacken auf. Die Strandpromenade
hinter uns füllte sich allmählich mit Joggern und Straßenverkäufern. Ich langte
in Lilys Koffer und zog ein halbleeres Zigarettenpäckchen und ihr grünes
Plastikfeuerzeug heraus.
    »Sind das ihre oder deine?«, fragte er.
    »Ihre«, antwortete ich, ehe ich mir eine in den Mund steckte und ihm
die Packung hinhielt.
    »Das nenn ich dreist, erst ihre Zigaretten klauen und dann mir auch
noch welche anbieten. Ich könnte ihr Mann gewesen sein, oder ihr Bruder.«
    »Und, bist du’s?«, fragte ich und sah ihn von der Seite an.
    »Nein«, erwiderte er, hielt sich das Päckchen an den Mund und zupfte
mit den Lippen eine Zigarette raus. Er musterte kurz Lilys Feuerzeug, ehe er
das lädierte Metallrädchen anschlug, um erst mir, dann sich Feuer zu geben.
Mein Herzschlag setzte kurz aus, als er mich unter dem Schirm meines roten
Basecaps prüfend musterte, doch er schien keine Ähnlichkeiten zwischen meinem
und Lilys Gesicht zu bemerken. Meines ist oval mit gleichmäßigen Zügen und
großen braunen Augen. Ich habe Dads Mund, seine etwas aufwärtsgebogene Nase,
seinen blassen Teint und die hohe Stirn. Ich nahm an, auf irgendeiner
unbewussten Ebene sei ich David aufgefallen, weil er etwas von Lily in meinen
Augen wiederfand. So musste es wohl sein, auch wenn er sich nichts anmerken
ließ. Ich ähnelte meiner Mutter kein bisschen. Eine Zeitlang saßen wir
schweigend da.
    [32]  »Woher kennst du sie denn?«, fragte ich ihn dann.
    »Ich war mal Modefotograf«, sagte er. »Sie – Lily – die Tote – war
früher mal Model. Wir hatten zusammen ein Shooting, vor Jahren in L.A. «
    »Model?«, wiederholte ich.
    »Ja, du hast da die Klamotten von ’nem Model«, sagte er.
    »Hast du sie geliebt?«, fragte ich, während ich daran dachte, wie
getrieben er gewirkt hatte, als er Lilys Foto an sich genommen hatte. Noch
während ich die Worte aussprach, fand ich es kindisch, doch sein Blick blieb
ernst.
    »Sie war damals eines von vielen Models«, sagte er. »Ich hab
allerdings ein Spitzenfoto von ihr gemacht. Da führt sie ein paar Hunde an der
Leine. Auf dem Foto sieht sie wunderschön aus. Danach hab ich sie Jahre nicht
mehr gesehen.«
    »Bist du immer noch Modefotograf?«
    »Nee«, sagte er. »Ich mach jetzt mehr so Paparazzi-Sachen. Wie alt
bist du?«
    »Zweiundzwanzig«, flunkerte ich, und David gähnte. Sein ganzer
Körper bog sich dabei durch, und er riss seinen Mund so weit auf, als wolle er
sein Innerstes nach außen kehren.
    Ich hatte immer das Gefühl, mein Körper würde nicht zu mir gehören,
aber bei David schien das ganz anders zu sein. Sein Lächeln stand mit seinen
Schultern in Verbindung, seine Hände mit seinen Augen. Ich fragte mich, woher
er wohl seine Narben hatte. Von ihm ging eine Energie aus, bei der ich zuerst
an Schlägereien denken [33]  musste, dann an den Fußballplatz in Swiss Cottage, wo
ich mich immer rumgetrieben hatte. Den Asphalt umgaben graffitibeschmierte Mauern,
und wir stießen uns von einem großen gelben Container ab, um Fußabdrücke in die
Ziegel zu stampfen, ehe wir auf dem stoppligen Gras landeten. Die meisten
Mädchen machten mit den Jungs rum. Manche hatten Sex, gingen eine Beziehung
nach der anderen ein, hatten Dates, kicherten, schmissen sich ran, grinsten und
verknallten sich, aber von mir bekam kein Einziger hinter dem Fahrradschuppen
einen Blowjob. Ich hatte mich mit einem Mädchen namens Mary angefreundet, und
wir hockten zusammen vor den Mauern rum, als würden wir uns mit den Graffiti
unterhalten, und zogen unsere Daumen über die Backsteine, um herauszufinden,
wer es am längsten aushielt. Ich gewann

Weitere Kostenlose Bücher