Piratenblut
mich sehr zuverlässig.«
»Eben, eben, Kind, zuverlässig, pflichttreu, ehrlich - -wunderbare Eigenschaften. Wenn er nur
ein kleines bißchen Initiative dabei entwickeln würde!«
»Es ist eben nie alles beieinander.«
Der Alte nickte und strich seiner Tochter über den Kopf.
»Gute Nacht, Katje. Ich will noch arbeiten.«
»Vater!?«
»Ja, Kind?«
»Sag einmal, weshalb hast du den Malaien eigentlich geohrfeigt?« »Hm — wie meinst du das?«
»Er hat gestohlen, sicher. Aber kann man von diesen Menschen eigentlich verlangen, daß sie ein Gefühl für Recht und Unrecht haben? Sagt er nicht, er sei ein König gewesen?«
»Was diese Kerle so unter König verstehen! Wahrscheinlich war er der Häuptling in
irgendeinem Dschungeldorf auf Ceram oder Borneo oder in Siam. Was weiß ich.«
»Hm, und was, glaubst du, würde ihn dazu bewegen, seine Arbeit hier ehrlich und fleißig zu
verrichten?«
»Die Knute der Aufseher«, lachte Jan van Groot.
Katje zögerte. Sie dachte offenbar über etwas Wichtiges nach. Dann meinte sie langsam: »Ich weiß nicht, Vater, irgend etwas ist dabei nicht in Ordnung. Natürlich, wir dürfen die Eingeborenen nicht auf eine Stufe mit uns stellen. Aber trotzdem, Gott sieht es gewiß nicht gern, daß sie von uns verprügelt werden.«
»Der Malaie Mutatulli ist ein Heide. Pfarrer Hoogh hat schon wiederholt versucht, ihn zu
bekehren. — Gute Nacht, Katje.«
»Gute Nacht, Vater.«
Katje trat hinaus auf die Veranda, um noch ein wenig frische Luft zu schnappen. Plötzlich hörte
sie vom Lagerhaus her Schreie. Sie unterschied deutlich Hagemanns Stimme :
»Hier entlang! Hier ist er vorbeigerannt!«
»Wo? - Wo?«
»Hier! - Hier!«
Die Schritte der bewaffneten Aufseher kamen näher.
Katje vernahm einen Aufschrei, gleich darauf das Geräusch eines dumpfen Schlages und dann
ein Stöhnen.
»Was ist los?« schrie Hagemann.
»Er hat den anderen überfallen und ihm das Gewehr fortgenommen«, antwortete der eine der Aufseher. »Aber ich kann ihn nicht mehr sehen.«
Katje hörte ihren Vater aus seinem Zimmer kommen. Aber im selben Augenblick fühlte sie sich von zwei derben Fäusten gepackt. Sie wurde von der Veranda gezerrt.
»Hilfe!« schrie sie, nachdem sie die Schrecksekunde überwunden hatte. »Hilfe, Vater — — Mynheer — —«
Eine Hand preßte sich auf ihren Mund. Eine Stimme zischte an ihrem Ohr:»Nicht schreien, Juffrouw, sonst ersteche ich Euch.« Mutatulli zerrte sie weiter, immer weiter, unter den Bäumen entlang, über die ganze Plantage, bis dorthin, wo seine Hütte lag. Sie verlor die Besinnung. Mutatulli nahm ein Bastseil und legte ihr lockere Fesseln an. Dann trug er sie in die Hütte. Hastig machte er sich in der Dunkelheit daran, seine Gulden auszugraben. Den Lederbeutel befestigte er mit einer Schärpe am Hemd. Dann warf er seine menschliche Beute mit einem kräftigen Ruck über die Schulter, ergriff das geraubte Gewehr und einen gefüllten Wassersack aus Ziegenleder und rannte zu jenem Gebüsch, wo sein halbfertiger Einbaum lag.
Er ließ das Mädchen fahren und verstaute den Wassersack im Kanu.
Mit flinken Händen befestigte er die Auslegermatte an der rechten Seite. Als er auch links zu Werke gehen wollte, näherten sich Schritte.
Dann hörte er die Stimme Hagemanns : »Such, Karo, such — — such, Karo, such!« Mutatulli zuckte zusammen. Der Hund, der Schäferhund des Herrn, der auf Sklaven dressiert war! Damit hatte er nicht gerechnet.
Ein trauriges Lächeln ging über sein Gesicht. Gerechnet? — Was hieß das schon? — Mit nichts hatte er gerechnet. Am wenigsten damit, daß dieser eifrige Inspektor sein Geheimnis entdeckt hatte. Und alles war fast fertig gewesen zur Flucht! Ein paar Tage noch, und Mutatulli hätte das Wagnis auch ohne die runde Summe von dreihundert Gulden in Angriff genommen.
Nun, es mußte auch so gehen. Wasser war die Hauptsache. Nahrungsmittel? Mutatulli hatte Fasten gelernt. Bis zur Insel Ceram konnte er ohne Nahrung auskommen. Drei Tage mußten für die Strecke genügen. In Ceram konnte er Nahrungsmittel kaufen und dann von Insel zu Insel springen: von Ceram nach Soela, von Soela nach Celebes, von Celebes nach Borneo. Im Inneren von Borneo war er zu Hause. Die Götter würden helfen.
Der Hund schlug jetzt an. Er mußte die Spur haben. Da ertönte auch schon die Stimme
Hagemanns:
»Langsam, Karo, schön an der Leine — — langsam.«
Der Stimme nach mußten sie noch fast eine halbe Meile entfernt sein.
Mutatulli betrachtete sein Fahrzeug.
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