Piratenbraut
Antwort. Der für Liquid Feedback zuständige Parteivorstand Klaus Peukert, im Netz unter dem Namen Tarzun bekannt, schrieb mir überaus umfänglich und freundlich im Ton. Der 35 Jahre alte IT -Fachmann aus Leipzig, der im Frühjahr als Beisitzer in das höchste Parteigremium gewählt worden war, dankte mir für meine Ehrlichkeit, versicherte, der Vorstand bemühe sich bereits um eine Reihe von Gegenmaßnahmen, und listete einige auf. Genauso hatte ich mir das von einem Piratenvorstand gewünscht!
Leider enthielt die Mail noch eine zweite Botschaft. Zumindest erweckte sie bei mir den Eindruck. Ich hatte das Gefühl, der Parteivorstand wolle mir indirekt bedeuten: Das mit dem Leck sei halb so wild. Peukerts Mail zufolge war das Problem nämlich »keines von Liquid Feedback«, sondern irgendwie außerhalb der Software zu suchen. Außerdem, so schrieb er, gebe es in jedem Landesverband der Piratenpartei nur »eine ein- bis gering zweistellige Anzahl von Dubletten in der Mitgliederdatenbank«. Die würden, wie er mir versicherte, schon jetzt »regelmäßig ermittelt und korrigiert«. Schließlich bemerkte er noch, seine E-Mail habe hoffentlich einige meiner Bedenken zerstreut.
Hatte sie leider nicht. Abgesehen davon, dass ich den Eindruck hatte, ich solle beschwichtigt werden, war der Bundesvorstand mit keinem Wort auf meinen Appell eingegangen, die Basis über die Zustände zu informieren. Genau das schrieb ich in meiner Antwort: Für die Nutzer sei es doch egal, ob sich das Leck im Liquid Feedback oder außerhalb befinde – entscheidend seien die möglicherweise chronisch falschen Abstimmungsergebnisse. Wenn es dumm laufe, genüge schließlich schon eine einzige Zusatzstimme, um ein Liquid-Feedback-Votum ins Gegenteil zu verkehren. Die Dubletten »regelmäßig« auszusortieren, sei deshalb auch keine Lösung. Es dürfe sie schlicht nicht geben, basta!
Vier Tage später erreichte mich eine zweite Antwort von Klaus Peukert, in der er weitere Gegenargumente auflistete: Es könne ja selbst bei Bundestagswahlen passieren, dass »mal 50 Stimmen falsch gezählt werden. Wenn das auffällt, wird’s korrigiert, fertig«, auch jede Briefwahl sei anfällig für Manipulationen. Im Übrigen hätten die Abstimmungen im Liquid Feedback offiziell noch keine Verbindlichkeit. Am Ende der E-Mail versprach er, das »aber mal noch etwas ausführlicher« aufzuschreiben, und schlug vor, wir könnten uns ja vielleicht demnächst bei einer Liquid-Feedback-Tagung in Köln persönlich unterhalten.
Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Wozu dieser hanebüchene Vergleich mit der Bundestagswahl? Wollte mich dieser Parteifunktionär auf den Arm nehmen – oder hielt er das für sachdienlich? Soweit ich das als Neumitglied einschätzen konnte, stimmte auch seine Behauptung, Liquid-Feedback-Abstimmungen seien bisher unverbindlich, bestenfalls zur Hälfte. Die Berliner Piratenfraktion hatte beispielsweise in ihrer Satzung festgehalten, dass ihre Abgeordneten gehalten seien, Entscheidungen aus Liquid Feedback zu berücksichtigen. Auch der Bundesvorstand, dem Klaus Peukert selbst angehört, verwendete neuerdings Liquid Feedback, um Beschlüsse vorzubereiten.
Unter unverbindlichen Abstimmungsergebnissen stellte ich mir etwas anderes vor. Dass der Parteivorstand meinen Appell, die Probleme öffentlich zu thematisieren, bereits zum zweiten Mal überlesen hatte, überraschte mich jetzt nicht mehr.
Ich kam mir hingehalten vor – und wunderte mich zugleich über mich selbst: Seit Wochen kreisten meine Gedanken um diese leidige Demokratiesoftware. Und nun suchte ich schon nach Gegenargumenten zu den Gegenargumenten eines ehrenamtlichen Beisitzers im Parteivorstand, den ich nur aus dem Netz kannte?
Gestern Abend hatte ich schließlich genug. Ein Berliner Pirat verbreitete via Mailingliste eine neue Analyse zur Manipulierbarkeit der Abstimmungen. Darin hieß es mit verblüffender Selbstverständlichkeit, eine Stimme im Liquid Feedback koste »ohne weitere Vorkehrungen (…) de facto 48,– im Jahr – das ist kein schöner Zustand«. Ich staunte: Wieso folgte der Feststellung, dass man sich mit einem Jahresmitgliedsbeitrag eine Piratenstimme kaufen kann, eigentlich kein Aufschrei? Und warum sollte ich mich noch länger zurückhalten, wenn andere hier schon lässig über den Preis für eine Zusatzstimme räsonierten? Zumal das mit den 48 Euro nicht mal wirklich stimmte: Wer jetzt im Herbst Piratenmitglied wird, zahlt keinen vollen
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