Piratenbraut
anlasten, schließlich habe der erst im Frühjahr seinen Posten angetreten und einen Berg von Problemen geerbt.
Dann fängt jemand an, alternative Manipulationsmöglichkeiten durchzuspielen: Mit Fantasienamen könne jeder theoretisch diverse Mitgliedsanträge stellen. Auch das falle vermutlich niemandem auf, denn für den Parteieintritt sei ja kein Personalausweis nötig. Tom sieht noch ein anderes Problem: Als Doppelmitglied hätte ich mir theoretisch bei Parteitagen sogar zwei Stimmkarten-Sets holen und doppelt abstimmen können. Und das hätte für die Partei so richtig Ärger bedeutet, denn alle Voten wären anfechtbar gewesen. Auf diese Idee wäre ich nicht mal gekommen!
Schade, dass Klaus Peukert nicht dabei ist. Vermutlich fände er die Diskussion auch gar nicht so undifferenziert, wie er in seiner ungehaltenen Mail an mich prophezeit hatte. Doch ein Blick aufs Smartphone macht mir klar: Dem Liquid-Feedback-Vorstand ist wohl gerade nicht nach sachlicher Auseinandersetzung. In Anspielung auf die riesige Raumstation »Death Star« aus den Star-Wars-Filmen, die mit ihrer Feuerkraft einen ganzen Planeten vernichten kann, schreibt er gerade auf Twitter: »Berufswunsch Todesstern« – und andere schlecht gelaunte Bemerkungen.
Einer meiner Crew-Kollegen hatte getwittert: »Wir Piraten erlauben die doppelte Parteimitgliedschaft – gerne auch zweimal innerhalb der Piraten.« Woraufhin Peukert loslegt: »Ja. Super. Und deswegen werde ich mit ›Es gibt sicher Tausende Sockenpuppen‹ angepimmelt. So macht es Spaß.« Das Problem sei zu »0,0« ein Liquid-Feedback-Problem. Im Übrigen habe er doch »noch ne ausführliche Erklärung« angekündigt. »Manchmal hab ich’s so satt.« Dann schimpft er noch, hier werde »mit ungarem Geplapper Hektik und Stress geschürt«.
Das hatte ich mir nicht ausgemalt, als ich vor knapp fünf Monaten voller Tatendrang und neugierig auf dieses angeblich so visionäre Liquid Feedback in die Piratenpartei eintrat: Einer der Bundesvorstände macht mich auf Twitter runter, weil ich auf ein Problem hingewiesen habe. Bevor ich mir einen passenden Antwort-Tweet überlegen kann, legt Peukert nach. »Eure Hektik kotzt mich an«, twittert er. Und kurz darauf: »Mein Name ist Erwin Lottermann und ich eröffne mit dem Papst seinem Zweitaccount eine Herrenboutique in Wuppertal.«
Ist das jetzt Galgenhumor? Soll ich das auch noch lustig finden? Späße auf Kosten anderer Piraten via Twitter zu verbreiten, mag ja eine vergnügliche digitale Übersprungshandlung sein. Ich aber habe den Eindruck, dass diese unter Piraten weitverbreitete Witzelsucht zuweilen einen ganz konkreten Zweck verfolgt. Sie kann nämlich davon ablenken, dass einem gerade nichts Konstruktives zum Thema einfällt. Wenn nur genug andere User einsteigen und einen leidigen Sachverhalt mit mehr oder weniger geistreichen Witzchen zukleistern, dann wirkt alles plötzlich nicht mehr so wild, sondern im besten Fall sogar unterhaltsam und irgendwie lässig.
»Hihihi ist ja alles nichts Neues ...«, twittert ein Pirat. »Aber das darf nicht sein, also ist es nicht.« Und Fabio Reinhardt, der für die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, kalauert: »Erschleichung einer digitalen Demokratiebeförderungsleistung.« Auch sein Fraktionskollege Simon Weiß belustigt sich: »Was, es ist jedem Menschen möglich, beliebig viele Mitgliedschaften in der Piratenpartei zu erzeugen? Nein, wer konnte das ahnen!« Fraktionschef Christopher Lauer entgegnet mit ebenso gespielter Entrüstung: »Was höre ich da?!«
Ich hätte nicht gedacht, mal so froh zu sein, hier in diesem mit Che-Guevara-Tapete ausgeklebten Hinterzimmer des »Caminetto« zu sitzen. Niemand aus meiner Crew spricht mich schräg an. Und als ich schließlich aufbreche, ruft mir jemand aufmunternd nach: »Falls es einen Shitstorm gibt, mach einfach das Handy aus!« Jetzt bin ich fast ein bisschen gerührt. Erst auf dem Heimweg wird mir klar, was dieser Tipp zum Abschied auch bedeutet: Sogar meine Crew hält es wohl nicht für ausgeschlossen, dass da noch was auf mich zukommt …
Bislang allerdings kann ich keinen Shitstorm ausmachen. Schwer vorstellbar, dass Klaus Peukert bei dieser überschaubaren Resonanz auf die Geschichte von Pirat111 von allzu vielen Parteimitgliedern mit Vorwürfen genervt worden ist. Ich bin eben nach wie vor ein Nobody im Netz – und gerade mal wieder unschlüssig, ob ich mich darüber freuen oder enttäuscht sein soll.
Eines ist mir seit heute
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