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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Geisler
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später jedoch verpasste mir die Partei den nächsten Dämpfer. Okay, es gab einerseits Grund zum Jubeln: drei unserer vier familienpolitischen Antragsmodule hatten bei der Abstimmung im Liquid Feedback mehr als 90 Prozent Ja-Stimmen geholt. Das war fast schon Jan-Hemme-Liga! Doch ausgerechnet das Elterngeld-Modul, also mein eigentlicher Part in dem Projekt, hatte hauchdünn gegen eine Konkurrenz-Initiative verloren. Und es war nicht irgendein Antrag, der unseren übertrumpft hatte. Dieser Gegenentwurf war ein Knaller. Er unterstellte uns, wir wollten Eltern staatlich bevormunden. Und die Idee, mehr Väter an der Kinderbetreuung zu beteiligen, verkehrte er einfach mal ins Gegenteil. Was der Antragsteller forderte, kam einem Rückfall hinter die Familienpolitik der CDU aus dem Jahr 2007 gleich. Ich hatte mir geschworen: Sollten die Piraten dieses Papier besser finden als unseres, dann hätten wir ein Problem! Und nun?
    Die Lage war unübersichtlich. Bei der Kampfabstimmung hatte unser Elterngeld-Antrag nämlich 86 Prozent Zustimmung und sogar rund 60 Ja-Stimmen mehr bekommen als die Gegeninitiative. Doch in Einzelfällen führt das komplizierte Wahlverfahren im Liquid Feedback dazu, dass die auf den ersten Blick erfolgreichere Initiative am Ende dennoch verliert. Ich gebe zu, so richtig verstanden habe ich diese sogenannte Präferenzwahl nach der Schulze-Methode nicht – vermutlich hätte ich dazu am Gymnasium den Mathe- LK wählen müssen. Klar war aber: Unsere Initiative war dem Konkurrenzprojekt unterlegen. Ich konnte es nicht fassen.
    Incredibul und Philipp allerdings bauten mich schnell wieder auf. Sie versicherten, mit diesen Ergebnissen könnten wir dennoch in Bochum gut durchkommen – sofern wir nur überzeugend genug argumentieren würden. Ich wollte ihnen das gern glauben. Immerhin kannten die beiden diese Partei ja tausendmal besser als ich.
    Aber natürlich hieß das auch: Wir müssten noch mehr Arbeit in unser familienpolitisches Projekt stecken. Und, warum nicht? Die Partei hatte überall in Deutschland dezentrale Vorbereitungskonferenzen für den Bundesparteitag angesetzt, bei denen Anträge testweise präsentiert und mit anderen Piraten diskutiert werden sollten. Ich meldete also unser Familienprojekt für die Berliner Vorkonferenz an. Und weil Philipp und ich nichts dem Zufall überlassen wollten, setzten wir uns am Vorabend zusammen und sprachen unsere Argumentationslinie ab. Den darauffolgenden Tag, einen sonnigen Oktobersamstag, verbrachte ich zur Hälfte in einem Hinterhoftheater in Berlin-Moabit. Die Atmosphäre war familiär, höchstens fünfzig Piraten saßen unten im Saal, als Philipp und ich schließlich auf der kleinen Bühne unser Projekt vorstellten. Die Diskussion mit den anderen Piraten verlief lebhaft, die meisten im Saal schienen unsere Vorschläge zumindest nicht völlig abzulehnen. Allerdings gab mir eine Piratin aus meiner Crew auf dem Heimweg zu verstehen, unser Konzept sei insgesamt zu kompliziert. Und ja, ihre Argumente überzeugten mich. Also trafen Philipp und ich uns ein weiteres Mal, um den Antrag zu vereinfachen.
    Schließlich stellte ich ihn Ende Oktober in überarbeiteter Form als 244. Programmantrag für den Bundesparteitag in Bochum ins Piraten-»Wiki« ein. Ich war zuversichtlich und sogar ein klein wenig stolz: Ein so intensiv bearbeitetes, gut gereiftes Papier sollte nun wirklich alle Chancen haben!
    Doch auch diese Hoffnung hielt nicht lange. Am Wochenende mailte die Antragskommission für den Bundesparteitag die ersten offiziellen Tagesordnungsvorschläge herum. Endlose Excel-Tabellen voller Zahlen und Buchstabenkürzel, die auf einer Online-Meinungsumfrage unter allen Parteimitgliedern basierten: Welche Themenfelder und Anträge wollt ihr in Bochum unbedingt diskutieren – und welche nicht? Denn, logisch, auch das Parteitagsprogramm sollte ja von der Basis zusammengestellt werden.
    Es war der vielleicht bitterste Moment in meiner Zeit als Piratin. Das Themenfeld Familienpolitik, unter das ja auch unsere Entwürfe fielen, war nur auf Platz 28 von 51 Plätzen der Beliebtheitsskala gelandet, weit abgeschlagen hinter Themen wie Bürgerbeteiligung, Bildung, Wirtschaft, Grundrechte oder Demokratie. Und unser in monatelanger Arbeit ausgefeilter modularer Antrag hatte, wenn ich richtig zählte, sogar nur Platz 431 von mehr als 700 Anträgen belegt.
    Klar, in den vergangenen Monaten waren in meiner Crew immer mal wieder süffisante Bemerkungen über die Unmenge von

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