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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Geisler
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vorne im Eingangsraum zu, dem ich ein paarmal in der Parteizentrale begegnet bin. »Keine Ahnung«, antwortet er leidenschaftslos. Und ja, eigentlich darf mir das alles jetzt auch egal sein.
    Ich bin hier, um mich zu verabschieden. Wochenlang habe ich mich nicht mehr beim P9-Squad, der Arbeitsgruppe der ehrenamtlichen Geschäftsstellenmitarbeiter, sehen lassen, eine halbe Ewigkeit lang keine Montagmorgenschicht mehr übernommen. Natürlich meldete sich immer mal wieder mein schlechtes Gewissen, denn irgendjemand musste ja die Parteizentrale lüften, die halb leeren Club-Mate-Flaschen von den Tischen wegräumen, den Kühlschrank füllen und ja, womöglich sogar die Toiletten putzen.
    Allerdings war es mir auch zunehmend so vorgekommen, als führe diese Parteizentralen-Gruppe lieber Endlosdebatten über Dreck und Geschirrberge, als etwas gegen diese Zustände zu unternehmen. »Küche sieht immer aus wie in einem › SAUSTALL ‹«, las ich erst unlängst wieder im Protokoll eines Squad-Treffens. »Anregung: Verursacher sollen benutzte Utensilien mit Wasser abspülen und zusammenstellen, sodass am nächsten Tag abgewaschen werden kann. Ansonsten muss Videoüberwachung (wie in den Toiletten (aus Hygienegründen)) installiert werden. Für die YouTube-Playlist ›Piraten – Dreckspatz des Monats‹!« Das sollte wohl lustig sein. Vielleicht machte es diesen Piraten wirklich Spaß, alle zwei Wochen wieder gemeinsam über angeschimmelte Essensreste zu diskutieren.
    Mein persönlicher Vorstoß für professionellere Arbeitsabläufe in der Parteizentrale jedenfalls schien bei den anderen nicht mehrheitsfähig. Selbst die Spülmaschine, für deren Anschaffung ich mich ja mal starkgemacht hatte und die nun traurig in der Wasserschadenbaustelle herumstand, war ja nicht einfach so gekauft worden. Ein Mitglied des P9-Squads hatte sich per E-Mail an die ehrenamtlichen Mitarbeiter gewandt und uns unter dem Betreff »Spühlmaschine! Wichtig!« gebeten, doch unsere »Schwarmintelligenz« einzubringen, um einen guten Geschirrspüler für die Partei zu finden – mit Link auf ein Piratenpad, wo wir unsere Argumente hinterlassen sollten. Ich hielt das zunächst für einen Scherz.
    Doch im Spülmaschinen-Pad hatte jemand tatsächlich bereits »Eckdaten« zum potenziellen Geschirrspüler-Nutzungsprofil der Parteizentrale festgehalten, die Alternativen »Profimaschine« und »handelsübliche Spülmaschine« abgewogen und darunter eine Elektronikmarktwerbung verlinkt, die zu einem 229-Euro-Gerät führte. Ein anderes Parteimitglied hatte in anderer Schriftfarbe ergänzt: »Wenn es um Geiz ist geil geht, dann gibt’s in der Metro manchmal Werbeangebote ab 159 € für Spülmaschinen. Keine Ahnung, welche Energieklasse die dann haben.« Es hatte eigentlich nur noch gefehlt, dass die verschiedenen Geschirrspüler-Modelle im Liquid Feedback zur Abstimmung gestellt würden.
    Ich verstand das alles nicht: Es gab so unendlich viel zu tun in dieser Partei, die doch eigentlich im Herbst 2013 in den Bundestag einziehen will. Wie konnten sich die Piraten mit solchen Lappalien aufhalten? Mir war meine Zeit dafür zu schade.
    Nur konnte ich mich nicht dazu durchringen, einfach eine E-Mail zu schreiben, um meinen Ausstieg aus dem P9-Squad mitzuteilen. Und sei es nur wegen Wuerfel, der mir trotz seiner anfänglichen Schroffheit inzwischen durchaus sympathisch geworden war – und den ich als interessanten, belesenen Menschen kennengelernt hatte, der unermesslich viel Zeit und Energie in diese Partei investierte. Er machte sich ja nicht nur in der Parteizentrale nützlich, sondern bekochte mit der » MS Teufelsküche« die Parteitage und engagierte sich obendrein in der Bezirkspolitik. Es gab wohl wenige Piraten in Berlin, die so viel ehrenamtlich für die Partei leisteten wie er. Zumindest ihm war ich es schuldig, noch einmal persönlich beim Squad-Treffen vorbeizuschauen.
    Nun stehe ich hier im Eingangsbereich der Parteizentrale. Es ist ein kalter, verregneter Novemberabend. Meinen Freund habe ich mit zwei müden Kindern, halbgarem Hühnerfrikassee auf dem Herd und einer Tasse mit angerührtem Tapetenkleister für die Sankt-Martins-Laternen in der Küche stehen gelassen, um 35 Minuten lang mit Bus, S- und U-Bahn nach Berlin-Mitte zu fahren. Doch hier angekommen, weiß keiner der Piraten im Eingangsraum, ob das Squad-Treffen schon vorbei oder ausgefallen sei.
    Damit ist endgültig klar: Ich liege richtig mit meinem Entschluss.
    Also verabschiede ich mich

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