Piratenbraut
Bundestags-Spitzenkandidatur in Brandenburg bekannt gab. Die 44-Jährige war schließlich vier Tage nach mir Piratin geworden. Mein Freund fragte mit spöttischem Unterton: »Und, kandidierst du jetzt auch?« Damals reagierte ich entrüstet: »Bin ich etwa Anke Domscheit-Berg?« Heute muss ich zugeben: Seine Bemerkung war zwar ironisch gemeint, aber nicht so abwegig.
Manchmal frage ich mich, ob sich eigentlich irgendjemand nicht wenigstens um einen hinteren Listenplatz oder eine aussichtslose Direktkandidatur bemüht. Längst steht jeder halbwegs profilierte Pirat unter Verdacht, vielleicht ja doch zu wollen. Die Piratin Julia Schramm richtete zur Klarstellung sogar eine Internetseite ein, mit der Botschaft: julia-schramm-kandidiert-nicht-fuer-den-bundestag.de
Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet in der Piratenpartei der Ansturm so riesig ist: Wenn alle beim Bundesparteitag ihre Anträge einbringen und mitentscheiden dürfen, wenn alle – angeblich – gleich viel zu sagen haben und der Anforderungskatalog an die Kandidaten nach unten viel Luft lässt, wieso sollte dann nicht auch die halbe Partei denken, sie sei reif für den Bundestag?
Inzwischen kann ich kaum noch glauben, wie sich Anke Domscheit-Berg auf Twitter beschimpfen lassen musste, als sie im August ihre Ambitionen öffentlich machte. »Mal schnell bei den Piraten eintreten und für den Bundestag kandidieren« – das könne doch jeder, polterte jemand. Die Kandidatur stärke seinen Verdacht, dass »wir für viele nur ein Sprungbrett sind«, warnte ein anderer. Klaus Peukert aus dem Bundesvorstand der Piraten witzelte zweideutig: »Ich bin im Herzen ja schon immer Kandidat.« Und Jan Hemme, der Pirat mit dem Wirtschaftsprogrammantrag, kramte eine Twitter-Nachricht vom Mai hervor. Damals hatte ein Pirat orakelt, er sei gespannt, wann sich Anke Domscheit-Berg »spontan« zu einer Bundestagskandidatur entschließe – nun ergänzte Hemme: »Sie nannten ihn den Seher.«
Als ich vor zwei Monaten Anke Domscheit-Bergs Bewerbungsseite im Partei-»Wiki« las, war mir endgültig klar, dass jetzt andere Zeiten bei den Piraten anbrechen dürften. Hatte sich nicht der Liquid-Feedback-Bundesvorstand Klaus Peukert schon Wochen zuvor auf Twitter über »das merkwürdige Verhalten mandatswilliger Piraten zur Aufstellungszeit« mokiert? Wie wahr!
Anke Domscheit-Bergs Bewerbungsseite schien mir zwar nicht schlecht aufgezogen. Aber ich fand darin keinen Funken jener liebenswert ironischen Grundhaltung, die ich bisher für piratentypisch gehalten hatte. Im Gegenteil: Die Netzaktivistin stellte ihre Bewerbung um den ersten Listenplatz in Brandenburg als persönliches Opfer dar und versicherte, sie mache das alles nur, weil sie »an den gesellschaftlichen Nutzen und den Nutzen für die Piratenpartei glaube«. Und in der Presse versicherte die Bewerberin, sie bringe einfach bei wichtigen Themen »große Expertise mit, von der es in der Partei nicht beliebig viel gibt«. Mir wurde ein bisschen schlecht, als ich das las. Fand sie das nicht unbescheiden?
Zwei Monate und unzählige Bewerbungsankündigungen später merke ich: Mein Blick hat sich verändert. Mich beruhigt plötzlich der Gedanke, dass im Bundestagswahlkampf eine intelligente, fachkundige und erfahrene Frau wie Anke Domscheit-Berg für die Piraten werben könnte. Ich ertappe mich sogar dabei, glatte, machtbewusste Profis gut zu finden. Ob das anderen Piraten ähnlich geht?
21 »Astrid hat noch Fragen zur Professionalisierung«
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Wieso ich trotz Spülmaschine keine Lust mehr auf Schichten in der Parteizentrale habe
Das Katastrophengebiet liegt zwischen dem Eingangsbereich und dem Materialraum. Es nennt sich Küche, doch darauf deutet kaum noch etwas hin. Der Fußboden ist herausgerissen. Schläuche liegen kreuz und quer auf dem nackten Betonboden, jemand hat sie mit dickem Klebeband befestigt. Ein Trockengerät summt vor sich hin. Mitten in dem Chaos steht verloren, mit leicht aufgeklappter Tür, die erste Spülmaschine in der Geschichte der Piratenpartei Deutschland. Fabrikat » OK « steht auf der Frontklappe. Jetzt muss ich doch mal lachen.
Dass in dem zur Küchenzeile ausgebauten Flur der Parteizentrale ein Malheur passiert war, hatte ich schon in einer Rundmail des P9-Squad gelesen: Kurz nach der Inbetriebnahme des umstrittenen Geschirrspülers hatte es offenbar einen Wasserschaden gegeben. »Wie ist das passiert?«, rufe ich nun einem Piraten
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