Piratenbraut
fröhlich von dem Piraten im Eingangsraum und eile zurück zur U-Bahn. Auf der Rückfahrt geht mir ein Telefonat durch den Kopf, das ich vor Wochen bei meiner letzten ehrenamtlichen Schicht in der Geschäftsstelle geführt hatte. Ein Pirat aus dem Süden wollte der Parteiverwaltung seine neue Adresse mitteilen. Ich erläuterte ihm, dafür sei der Landesverband zuständig, und machte mich daran, ihm einen baden-württembergischen Ansprechpartner aus dem Partei-»Wiki« herauszusuchen, was schwieriger war als vermutet. Irgendwann fragte der Anrufer ein wenig genervt: »Sag mal, arbeitet ihr da immer noch als Ehrenamtliche in der Parteizentrale?« Was sollte ich dazu sagen? Ich bemühte mich, die Lage ein klein wenig schönzureden, denn ich wollte den Piraten ja nicht zusätzlich verunsichern. Jetzt hätte ich eine bessere Antwort parat: Doch, die Parteizentrale arbeitet immer noch mit Ehrenamtlichen – aber ab sofort ohne mich.
22 »Das ist ein schwarzer Abend«
22 »Das ist ein schwarzer Abend«
Wie ein unerwarteter Brief von der Parteizentrale meine Niederlagen als Piratin abfedert
Nanu, in unserem Briefkasten liegt ein Umschlag mit dem Absender Piratenpartei. Die wollen mich doch nicht etwa auf diesem Weg daran erinnern, dass ich Ende der Woche genau wie 34.000 andere Mitglieder herzlich zum Bundesparteitag nach Bochum eingeladen bin? Mein Sohn springt an meinen Beinen hoch. »Mama, ist das ein Brief von Oma und Opa für mich?« »Nee, leider nur ganz, ganz langweilige Post für mich«, beteuere ich und will gerade den Umschlag aufreißen, da stolpert meine Tochter über die Einkaufstüte hinter der Tür und landet plärrend auf dem Fußboden. Der Brief muss warten.
Was auch immer die Partei von mir wollen könnte – mir ist gerade ohnehin nicht mehr so nach den Piraten. Und daran sind keinesfalls nur die permanenten Negativschlagzeilen schuld. Im Gegenteil. Ich bin schon so abgestumpft, dass ich die meisten Aufreger nur noch an mir vorbeiziehen lasse. Parteichef Schlömer putzt öffentlich den Politischen Geschäftsführer Ponader herunter? Kann mal passieren. Julia Schramm verlässt den Bundesvorstand? Wird meine Partei schon verkraften. Eine Landtagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen twittert Anzügliches aus dem Parlament? Wenn’s ihr Spaß macht.
Nein, es sind persönlichere Dinge, die mir seit Wochen schlechte Laune machen, wenn ich an die Piraten denke. Incredibul, einer der Co-Autoren unserer familienpolitischen Anträge, ist ausgetreten. Er verließ die Piraten Anfang Oktober – ausgerechnet an jenem Tag, als im Liquid Feedback die Abstimmung über unsere gemeinsamen Entwürfe fürs Wahlprogramm endete. Seinen Entschluss kündigte der Mannheimer Pirat auf Twitter an, wo sonst. Mit einem Zitat aus Douglas Adams’ »Per Anhalter durch die Galaxis«, was sonst: »Macht’s gut, und danke für den vielen Fisch«, schrieb er, gefolgt von einem Link zu einem Blogpost. Darin beklagte Incredibul, er sei »mittlerweile schockiert, wie ausgerechnet verantwortliche Vorstände« an der »Abwärtsspirale« der Partei beteiligt seien. Seine Konsequenz: »Das Projekt Piratenpartei ist für mich bis auf Weiteres beendet.«
Incredibuls Austritt löste eine Welle entsetzter Kommentare aus: »Krasser Scheiß«, twitterte der Promi-Pirat Christopher Lauer. Die ehemalige Politische Geschäftsführerin Marina Weisband schrieb: »Das ist ein schwarzer Abend.« Martin Haase, der Pirat mit den vielen Huckepack-Stimmen im Liquid Feedback, bat Incredibul, er solle innehalten und nicht austreten. Ja, die halbe Partei schien dem Kommunikationsdesigner aus Mannheim nachzutrauern.
Eigentlich hätte ich stolz sein können: Ohne es zu ahnen, hatte ich offenbar mit einer ziemlich großen Nummer aus meiner Partei zusammengearbeitet. Doch nun saß ich an meinem Laptop und versuchte, einen Piraten zu verstehen, dem ich nie persönlich begegnet war. Warum in aller Welt schmiss Incredibul gerade jetzt hin?
»Hey, Mensch – ich kann’s nicht fassen. Es gehen immer die Falschen«, twitterte ich aus einer sentimentalen Laune heraus an Incredibuls Adresse. »Hoffe sehr, dass du trotzdem in Bochum dabei bist!« Drei Minuten später antwortete Incredibul: »Wenn Gäste zugelassen sind, komm ich.« Überschwänglich erwiderte ich: »Wenn diese Partei noch irgendwas kapiert, dann rollt sie dir ’nen Teppich aus ...«
Incredibul wollte trotzdem zum Parteitag kommen? Das klang doch schon nur noch halb so schlimm.
Ein paar Stunden
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