Pitch Black
dazu. Hinterher war er dann in der Regel mit ihm zum Sportartikelladen gefahren oder in die Vereinsgaststätte am Stadtrand, um ein paar Hähnchenflügel zu essen.
Sie packte den Kragen ihres Chenille-Morgenmantels, wickelte sich fester hinein und zog die Beine unter sich auf den Sessel.
Sie versuchte, die düsteren Gedanken zu verdrängen, die sie quälten, sobald sie daran dachte, wie Steve gestorben war. Aber sie waren immer da und ließen sich einfach nicht abschütteln. Wie hatte jemand einen so guten Menschen derart brutal misshandeln können? Und wer war es gewesen? Jeder in der Stadt mochte Steve. Jeder in der Stadt…
Halt! Todd hatte ihr gesagt, darüber dürfe sie nicht nachgrübeln.
Sie wandte ihre Gedanken dem morgigen Tag zu, an dem Todd und sie Jordan besuchen würden. Sie würde ihren Kleinen wiedersehen.
Sie schämte sich für ihre Erleichterung darüber, dass sie Jordan während der ersten Wochen im Stresszentrum nur am Sonntag besuchen durfte. Es hatte ihr ein bisschen Angst gemacht–nicht die Tatsache, dass sie ihn nicht besuchen konnte, sondern dass nicht von Tagen, sondern von Wochen und Monaten die Rede war.
Sie musste ein schrecklicher Mensch sein, dass sie so erleichtert war, nicht jeden Tag bei ihm sein zu müssen. Aber wie hätte sie es durchstehen sollen, Tag für Tag allein dort zu sitzen und den Zombie anzusehen, in den sich ihr kleiner Junge verwandelt hatte?
Jeden Tag rief sie an, auch wenn sie es immer bis zur letzten Sekunde aufschob. Jetzt war es wieder an der Zeit, den Anruf hinter sich zu bringen. Nicht, dass sie irgendetwas Neues hören würde. Seit seiner Einlieferung hatte sich sein Zustand nicht gebessert.
Eine Zeit lang starrte sie das schnurlose Telefon auf ihrer Sessellehne an. Vielleicht würde sie heute nicht anrufen. Dann könnte sie so tun, als gäbe es gute Neuigkeiten. Und dann könnte sie sich darauf freuen, ihn morgen zu sehen.
Genau in dem Moment klingelte das Telefon und erschreckte sie dermaßen, dass sie aufsprang.
Sie hatte die ganze Woche den Anrufbeantworter eingeschaltet gehabt. Alle Anrufe hatten den gleichen Inhalt: Die Leute boten ihr an, Essen vorbeizubringen, dessen Anblick sie nicht ertragen hätte, geschweige denn, dass sie es hätte runterbringen können. Und wenn sie die Leute sagen hörte, was für ein großartiger Mensch Steve doch gewesen sei, und wenn sie fragten, wie es ihr ginge, dann hätte sie am liebsten geschrien. Was glaubten sie denn, wie es ihr ging? Ihr Leben war gerade völlig aus den Fugen geraten.
Nach dem vierten Klingeln schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Als sie die ersten Worte hörte, griff sie rasch zum Telefon und nahm das Gespräch an.
»Ja, hallo, hier bin ich.«
»Oh gut. Mrs McPherson?«
»Ja.«
»Hier spricht Carol Bishop vom Pleasant Hill Stresszentrum. Ich dachte mir, Sie könnten ein paar gute Nachrichten brauchen.«
Kates Herz überschlug sich schier. »Jordan redet! Ich wusste doch, dass es ihm wieder besser gehen würde. Kann ich ihn sprechen?«
»So große Fortschritte hat er leider noch nicht gemacht. Jordan redet noch nicht, aber er hatte heute Blickkontakt mit seinem Therapeuten. Und er hat den Kopf geschüttelt, als er heute Nachmittag gefragt wurde, ob er Orangensaft wolle.«
Die Freude zerplatzte in ihrem Herzen wie Luftblasen in sprudelndem Wasser. Doch Kate klammerte sich an das Positive. »Das ist eine gute Nachricht. Er kommt wieder zu sich, nicht wahr?«
»Auf jeden Fall ist es ein Schritt in die richtige Richtung.«
»Wenn er uns morgen sieht, geht es ihm vielleicht noch besser.«
»Das hoffen wir, Mrs McPherson. Das hoffen wir sehr.«
»Ähm…rufen Sie seinen Vater an und sagen ihm Bescheid? Ich würde ihn nur ungern selbst anrufen.«
»Selbstverständlich.«
Sobald sie das Gespräch beendet hatte, sprang sie aus dem Sessel und ging zur Dusche. Sie wollte fertig sein, wenn Todd von der Arbeit nach Hause kam. Sie würden ausgehen und feiern!
Einen Moment lang stockte Madison der Atem. Sie starrte auf Ethans Rücken und wünschte sich, aus diesem Albtraum zu erwachen. Endlich war er so weit, ihr zu erzählen, was geschehen war, und trotzdem hatte sie das Gefühl, dass dann durchaus nicht alles vorbei sein würde. Stattdessen würden sie beide noch tiefer im Schlamassel stecken.
»Jordan«, sagte sie schließlich. »Du willst sagen, dass Jordan…dass er nicht vorhatte, seinen Stiefvater umzubringen.«
Ethan senkte den Kopf. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die
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