Pitch (German Edition)
mehreren
Überraschungseiern auf dem Arm, darüber sind sie ins
Gespräch gekommen, der Alte meint, der Junge fange ja früh
an, womit er nicht die Tageszeit meint, der Junge entgegnet, da
draußen ginge es rau zu, hart sei das Leben und schwer, da
könne man eine kleine Stärkung schon vertragen, das, meint
wiederum der andere, wisse niemand besser als er selbst, auf die
Frage, warum, spult er die alte Geschichte ab, die er in den Jahren
auf der Straße erfunden und immer ungehemmter erzählt hat,
so spricht er frei von der Leber weg, wenn man bei nullkommaneun
Promille um halb zwölf von einer freien Leber überhaupt
sprechen kann, von seiner Karriere als Arzt, Gynäkologe, um
exakt zu sein, und von deren Ende durch das Auffliegen illegaler
Abtreibungen, das alles in der Schlange, keineswegs so leise, dass es
nicht andere auch mitbekommen könnten, und der Junge, der ganz
interessiert zuhört und das Ganze auch zu glauben scheint, hört
auch nicht weg, als nach dem Entzug der Approbation vom
kontinuierlichen Niedergang berichtet wird, in dessen Verlauf die Ehe
kaputt und die Wohnung verloren geht, während sich gleichzeitig
Schulden und Alkohol auf kontinuierlich ansteigendem Level die Waage
halten, im Fortgang der Geschichte nähern sich die beiden der
Kasse, wobei der Junge sein Sprüchlein von der Kühle des
Discounters bringt und sich damit elegant an dem Alten
vorbeischlängelt und seinen Karton mit Schoko, Schaumwein und
Schnaps aufs Band legt, wie heißt du, fragt er den Alten,
Willi, sagt der leise, wie die Birne, auch das, wie die Geschichte,
in die er sich über Jahre hinweg hineingelogen hat, ein Spruch
und ein Lacher, für den er, wenn er ihn auf der Straße
bringt, manchmal einen Euro extra kriegt, war mir ein Vergnügen,
Willi, sagt der Junge und zieht ein paar Scheine aus der Tasche.
22
Die
Tage Untertage …
… sind
für Hiltrud Brennen gezählt, sie zieht die Sachen durch,
wenn der Sensor streikt, tippt sie die Zahlen ein, wenn der Barcode
nicht eingespeichert ist, blättert sie in den Produktlisten, die
oberhalb der Kasse angebracht sind, sie ruft über das Mikro nach
Hilfe und hat schon vor zwölf die Schnauze voll, sie ist
stämmig, nicht mehr die Jüngste, ihr graues Haar verbirgt
sie unter einer etwas missglückten Blondierung, zuviel Marilyn
und Peroxid sie ist ein wenig zu grell geschminkt, sie ahnt es, kann
es aber auch nicht unterlassen, weil sie sich sonst bloßgestellt
vorkäme neben ihren jungen Kolleginnen, die noch gut aussehen,
auch wenn man einzelnen bereits ansieht, wie abgearbeitet sie durch
diese ständige Arbeit in diesen Katakomben sind, dem Supermarkt,
kleine Nummern, wie all diese Einsneunundneunziger und
Zweineunundvierziger, die auf den Kassenzetteln erscheinen, kurz, sie
ist alt und freut sich auf ihre Rente, selbst wenn die kärglich
ausfallen wird, aber manchmal mag sie ihren Job auch, dann zum
Beispiel, wenn sie solche Situationen erlebt, wie die mit dem alten
Obdachlosen und dem jungen ... nun, ein Student wird er sein, der für
seine WG Süßigkeiten und Alkohol kauft, den Alten kennt
sie, denn der versorgt sich hier regelmäßig mit dem
Notwendigsten, den Jungen mit dem Igelschnitt nicht, aber es hat
etwas Sympathisches, wie er dem Alten zuhört, sich mit ihm
unterhält und ihn ernst nimmt, indem er sich über ihn
lustig macht, als er dran ist, denkt sie, dass er ihr Sohn sein
könnte, dass er ein netter, ein selbstbewusster, aber auch ein
forscher, vielleicht auch ein aufgeblasener sein kann, sie denkt
auch, dass der Junge bestimmt gut im Bett ist, normalerweise denkt
sie an Sex gar nicht mehr, oder nur dann, wenn ihr Mann sich die
üblichen Zeitschriften anschaut oder abends bestimmte Programme,
und während ihr das alles durch den Kopf geht, steckt der Junge
das Wechselgeld in die Hosentaschen, nimmt ein Fläschchen mit
Klarem und wirft es dem Alten zu, hier, fang Willi, sagt er und
wendet sich ihr zu, aber nicht, dass Sie das Fläschchen noch mal
abrechnen, neinnein, erwidert sie, aber da ist er auch schon weg und
Willi ist dran.
23
Jochen
Senne von TV4U …
... beruft
eine vorgezogene Redaktionssitzung ein, die Redakteure machen sich
auf den Weg, die Kameraleute auch, jeder sucht sich einen Platz,
manche hocken sich auf die Heizung, er selbst, Senne, der
Chefredakteur, Ende vierzig, fett und schon grau, sitzt bereits
vorne, am Ende des Tisches, vor der Medienwand, das Gemurmel ebbt
langsam ab, Senne hebt die Arme, Handflächen nach unten,
beschwichtigend
Weitere Kostenlose Bücher