Pitch (German Edition)
regelmäßig
wiederkehrende Ping als auch das Genuschel der Ärzte aus
dem Arztzimmer nebenan, wo sie beraten und versuchen, sich ihre
Nervosität nicht anmerken zu lassen, aber, natürlich, Ping ,
bei so einem will keiner einen Fehler machen, deshalb ist der
Chefarzt schon unterwegs, Harald soll Wache schieben, in Wirklichkeit
haben sie ihn vergessen, Ahnung von den Geräten hat er keine,
wenn sich was ändert, soll er es melden, also guckt er aufs EEG,
noch ist der Hirntod nicht eingetreten, Ping , aber viel tut
sich nicht mehr, das meiste spielt sich zwischen nullkommafünf
bis allenfalls vier Hertz ab, traumloser Tiefschlaf, wenn er die
Ärzte richtig verstanden hat, werden die Kurven jetzt nur noch
flacher werden und bis zu einer stillen Linie verebben, dann ist finito und man kann wieder Strom sparen, Ping , was,
fragt er sich, mag wohl hinter diesen Kurven stecken, welche Form der
Hirnaktivität mögen sie ausdrücken, können das
noch Gedanken sein, fragt er sich, wohl kaum, hier liegt er nun, Karl
der Große, einen Giganten hat er vor sich, einen König,
nicht über ein Land, sondern über Menschen vieler Länder,
keinem Wählervotum unterworfen, einen absoluten Herrscher, auf
den Thron gelangt durch eigene Leistung, vermutlich mächtiger
als Politiker, Harald Neumann erinnern diese immer schwächer
werdenden Kurven an die Wellen, die die allermeisten aus seiner
Klasse jetzt vermutlich an fast allen Stränden Europas sehen
werden, weil sie das Glück haben, zu einem späteren
Zeitpunkt ihre Einberufungsbefehle zu erhalten oder weil sie Frauen
sind, und damit kommt ihm Kai in den Sinn und der alte Mann vor ihm
auf dem Krankenbett verliert den letzten Rest an Bedeutung.
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Aus
der Vogelperspektive …
… sind
wir nur Punkte auf einer Linie, Peter Senker steht im Stau, aus der
Raserei mit hundertneunzig ist innerhalb eines Augenblicks ein
Geschiebe, Gedränge und Gedrücke von Blechtonnen geworden,
mal kriecht die linke Spur etwas schneller, mal die rechte, eben war
es noch ein Wettrennen, jetzt ist es slow motion , wer
ist erster im Ziel, wer kommt schneller an, aber wofür rast man
denn schon, wofür drückt man so aufs Gas, damit die
Kunstkarten, die druckfrisch im Kofferraum liegen, schneller in den
Verlag kommen, Stiche von Gustave Doré, Dante und andere am
Rand der Gräben, damit der da drüben ein bisschen eher zu
Hause ist, oder die da Erfolge oder Misserfolge ein klein wenig
früher erleben, wie sieht wohl ein Unfall von oben aus, so eine
richtige Massenkarambolage, wenn einer in den andern rast, wenn
Blechteile durch die Luft fliegen, wenn Menschen aus Autos
geschleudert werden, Senker betrachtet die stehenden Wagen um sich
herum und sieht zerbeulte, rauchende, ausgebrannte Fahrzeuge, mit
Tüchern abgedeckte Leichen, für nichts und wieder nichts
geben die hier alle Gas und bremsen, von oben wird die Autobahn
einfach ein geschwungener Strich sein, durch eine Komposition von
rot, gelb und grün, unterbrochen durch Brücken, verknäuelt
in Kreisverkehren, die Kreuzungen und Abzweigungen Querstriche, mal
grobe Schraffuren, mal die harte Struktur, ein bisschen Mondrian, ein
bisschen Kirchner, abstrakte Kunst, ein Raster, lauter Planquadrate,
und in welchem Feld stehst du, Senker weiß, er wird zu spät
kommen, er hört seinen Chef, Senker, wo bleiben meine Karten,
mit Stau hat er nicht gerechnet, das Radio, jetzt läuft es,
hatte er nicht angehabt, zu spät für Ausweichrouten, nun
ist er mitten drin in der Schlange, keine Ausfahrt in Sicht, aber in
der Ferne ein Dorf, von oben nur eine Anhäufung roter Kleckse,
Senker hat angerufen und seine Verspätung angekündigt,
heute kommt keiner pünktlich, sagt er sich, die Luft flimmert,
Abgase, die zum Himmel stinken, was hier alles verpufft, bares Geld,
bei den Spritpreisen, blauer Dunst, irgendwann kann sich das keiner
mehr leisten, er schließt etwas dichter zu dem Sportwagen auf,
den hat er und der hat ihn auf dieser wilden Hatz schon öfter
überholt, schönes Blau, denkt er, von oben sicher ein
besonders feiner Tupfer, wie alt mag der sein, sehr alt, der hat ja
noch echte Kotflügel, Senker schaut durch das rundliche
Rückfenster auf den Alten am Steuer und den Jungen daneben, im
ruhigen Gespräch, bedächtig die sachten Gesten des Alten,
mit mulmiger Miene an die Tür gelehnt der andere, so bieten sie
ihm ihr Profil dar, Scherenschnitte vor Heckspoilern, wie stehen sie
zueinander, Vater und Sohn, Chef und Mitarbeiter, Senker, ins
Rheinische
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