Pitch (German Edition)
dann,
bitte schön, sollen sie halt nicht links fahren, diese und
ähnliche Gedanken hat er heute schon öfter gehabt, beim
Überholen von Überlandschleichern und Traktoren, ex und
hopp, ist er an ihnen vorbei gewesen, er selbst fährt etwas
Feuerrotes, sehr Sportwagendes, ein Narr, der durch die Lande fährt,
er fliegt dahin in dem Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben,
seinen Wagen, sich selbst, die Straße, auf Hunderte von Metern
nichts vor ihm, nichts hinter ihm, nur Lichtstrahlen kreuzen seinen
Weg, Schattenbalken, Lichtreflexe von Strahlen, die durch Äste
brechen, nur eine schwarze Limousine, auch nicht langsam, kommt ihm
entgegen, und plötzlich etwas von der Seite, etwas Flatterndes,
ein Vogel wohl, er reagiert zu schnell, statt einfach geradeaus und
durch, reißt er das Steuer zur Seite, genau auf der Höhe
des andern, er kommt ins Schlingern, damit ist die Sache gelaufen,
der andere kann nicht mehr ausweichen, beide Wagen prallen frontal
aufeinander und schleudern auseinander, zwei aus dem Rhythmus
geratene, dicke Blechballerinen, die Kotflügel wie Bänder
schwingen und ins Taumeln geraten, die durchaus guten Knautschzonen
finden bei hundertsechzig Stundenkilometern auch ihr Ende, die
aufplatzenden Airbags entwickeln Temperaturen von über
achthundert Grad Celsius und dann ist mit den von allen Seiten auf
den einen Fahrer eindringenden Bauteilen tatsächlich Schluss mit
dessen lebenserhaltenden Funktionen, der nicht mehr als solcher
erkennbare Kopf auf dem zerquetschten Rumpf gibt keine Regung mehr
von sich, und der Mensch, der Wolfgang Rasch bis vor einer Minute
gewesen ist, ist tot, aus ist es mit der Freude am Fahren, vorbei mit
dem Vorsprung durch Technik, verflogen ist die Liebe zum Automobil,
all dass ist hier und jetzt, von jetzt ab, nichts anderes als
unwiederbringlich zerbeulte Vergangenheit.
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Ein
unangenehmer Typ, …
… dieser
Sedlmayer, denkt Erich Kraft, als sich der fette Pressereferent auf
den Beifahrersitz quetscht, er sagt kaum Hallo, wendet sich gleich
nach hinten zum Ministerpräsidenten, der noch im Einsteigen
fragt, ob das denn alles wirklich sein müsse, unbedingt, sagt
Sedlmayer und gibt dem Chauffeur die Weisung, nicht direkt zum
Landtag zu fahren, sondern zunächst zum
Sankt-Vitalis-Krankenhaus, Herrgott, Sedlmayer, der Mann liegt im
Koma, na und, Herr Ministerpräsident, umso wichtiger ist es,
sich an seinem Krankenbett nach seinen Genesungschancen zu
erkundigen, ach, stöhnt der eine, der andere sagt, hören
Sie, Herr Ministerpräsident, jedes kluge Kind ist weiter als der
Tor, der die Zukunft nicht bedenkt, Sie wollen im Januar eine Wahl
gewinnen, Sie wollen sich in eine gute Position fürs Kanzleramt
bringen, doch so groß ist ihr Polster noch nicht, dass Sie
nicht jede PR nutzen müssten, Sie müssen doch nur kurz
aussteigen, ins Krankenhaus reingehen, dem Chefarzt die Hand
schütteln und beim Rausgehen der versammelten Presse mit ernster
Miene erklären, dass es bedenklich um Keiser steht, aber nicht
um den Konzern, dass die Arbeitsplätze sicher seien und das Land
seine Hand schützend über alles halte, Kraft blickt bei
diesen Worten in den Rückspiegel und sieht einen gequält
dreinschauenden Mann, dem der Kragen so eng zugeknöpft ist, dass
er beinah von der eigenen Krawatte erwürgt wird, in Falten
gelegt ist die Stirn, straff zurückgekämmt das früh
grau gewordene Haar, aber, fragt der Ministerpräsident, hätte
das nicht morgen noch gereicht, neinnein, sagt Sedlmayer, glauben
Sie, ich trommle die ganze Presse umsonst zusammen, ich will dass Sie
heute Abend mindestens dreimal in der Tagesschau auftauchen, wie,
dreimal, fragt der Ministerpräsident, was denn noch außer
Keiser und der Kabinettssitzung, sie fliegen gleich nach der Sitzung
in die Hauptstadt zur letzten Abstimmungsrunde vor der
Bundesratssitzung nächste Woche, warum das denn, ich dachte, das
hätten wir abgesagt, da ist doch nicht einmal
Anwesenheitspflicht, da treffen sich doch nur die Landesvertreter,
kein einziger Ministerpräsident wird da heute Abend sein, eben,
Herr Ministerpräsident, eben, auf wen also wird sich die Presse,
Ihrer Meinung nach, stürzen, wenn die Sitzung vorbei ist, Kraft
fährt durch die Straßen der Landeshauptstadt, vorbei an
den Ministerien, den Museen und Bibliotheken, der Mann im Rückspiegel
wirkt wie ein Getriebener, der Wagen nähert sich dem
Krankenhaus, dessen Zufahrtsstraße bereits von Ü-Wagen
gesäumt ist, an den Rändern sind Absperrungen
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