Pitch (German Edition)
errichtet
worden, Sedlmayer hat nichts dem Zufall überlassen, die Fahrt
durch die Menge, die auf sie gerichteten Kameras, die hingehaltenen
Mikrofone, die noch nichts anderes als bloß Motorengeräusche
aufnehmen können, all das hat für den Mann im Fond etwas
von einem Spießrutenlauf, er hat den Posten in der Mitte der
Legislaturperiode übernommen, den Abgang seines Vorgängers
hat er durch die Verbreitung einiger Skandale und Skandälchen zu
beschleunigen verstanden, lange hat er geduldig gewartet, lange hat
ihn sein Vorgänger warten lassen, er, der Kronprinz hatte zum
Königsmörder werden müssen, um endlich ans Ruder zu
gelangen, und nun, endlich zu Amt und Würden gekommen, ja
bereits nach mehr schielend, nach der Hauptstadt linsend, ist ihm
doch mulmig geworden, vieles ist nicht so einfach, wie es einmal
schien, vieles ist misslungen, was als großer Wurf geplant war,
nun lässt er Sedlmayer machen, was er selbst mal gewollt hatte,
an die Spree soll er ihn bringen, dieser Sedlmayer, den er zu seinem
Pressechef und Wahlkampfkoordinator gemacht hat, der treibt ihn nun
unablässig an, jagt ihn in Talkshows, hetzt ihn in Interviews,
jetzt, heute, zuerst ans Krankenbett Keisers, in die Kabinettssitzung
und heute Abend noch in die Hauptstadt, das alles zeichnet sich auf
seinem Gesicht ab, in all der Widersprüchlichkeit aus
Machtwillen und Fluchtgedanken, Sedlmayer flüstert, also, Herr
Ministerpräsident, wir gehen jetzt da rein und sind in fünf
Minuten wieder draußen, Kraft braucht nicht einmal den Motor
abzustellen, Sie müssen nur ein paar Hände schütteln,
dem Chefarzt versichern Sie einfach nur Ihr Vertrauen, und bitten Sie
ihn, Keiser solange am Leben zu erhalten, wie es möglich ist, im
Interesse des Landes, dann wechseln Sie noch ein paar Worte mit
Mellendorf ... wie, Mellendorf, ist auch da, fragt der
Ministerpräsident, ja, sicher, schließlich geht es um
Arbeitsplatzsicherung, Standortsicherung,
Kanzlerkandidaten-positionierung, einer ist keiner, wenn Sie schon
Hände schütteln, dann sollten auch ein paar einflussreiche
darunter sein, das erinnert mich daran, dass ich noch ein Interview
in den Spätnachrichten für Sie arrangieren muss, halten Sie
mal, Kraft, sagt Sedlmayer, der Begleitschutz aus dem vorderen Wagen
steigt aus und reißt die Tür des Ministerpräsidenten
auf, der steigt aus, streicht sein Jackett glatt, schaut sich um,
lächelt eine Spur zu unsicher, ein Blitzlichtgewitter prasselt
auf ihn ein, dann ist Sedlmayer neben ihm, Bodyguards um ihn herum,
sie gehen durch die Glastür, Kraft sieht durch die Fenster der
Krankenhausfront, wie der Ministerpräsident mit den Ärzten
spricht, einer in der Gruppe ist Mellendorf, Kraft kennt ihn aus dem
Fernsehen und flüchtig vom Sehen, von Anlässen, zu denen er
den Ministerpräsidenten gefahren hat, alle stehen eng
beieinander, die Politik zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, selig
das Land, das von diesem Dreigestirn geleitet wird, mit leeren
Blicken starren sie ihn an, als wüssten sie selbst nicht genau,
wohin die Reise gehen soll, dann nimmt der Ministerpräsident
Mellendorf beiseite, oder umgekehrt, sie reden vertraulich
miteinander, ernst sind ihre Mienen, dann ein Lächeln,
Händeschütteln, Einigkeit, diese Bilder durch die Glasfront
wird Erich Kraft abends noch einmal sehen, in der Tagesschau, alles
wird wichtig aussehen und keiner der Fernsehzuschauer wird merken,
dass das Ganze nicht länger als viereinhalb Minuten gedauert
hat, bis der Ministerpräsident wieder herauskommt, kurz einer
imaginären Menge, tatsächlich aber nur den Kameras zuwinkt,
wieder in den Wagen steigt und sich zu seiner Kabinettssitzung fahren
lässt, unaufhaltsam, immer weiter, gefahren von Kraft, geführt
von Sedlmayer, direkt ins Kanzleramt, irgendwann später.
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Die
Fassade …
... des
großen, alten Gebäudes in der Akanthusstraße ist
komplett hinter dem groben Raster eines Baugerüsts verborgen, es
erhält ein Wärmedämmverbundsystem, eine
Kunststoffverkleidung, die Energie sparen und zugleich gut aussehen
soll, Jens Gollodki, Lehrling von Maler, Stuck & Co. Runge
ist gerade dabei, mit den Gesellen und dem Meister das feinmaschige
Armierungsgewebe auf den Polystyrolplatten anzubringen, heute muss
die Dämmung fertigwerden, der Eigentümer wünscht sich
eine den Charakter des Bauwerks bewahrende und erst recht zur Geltung
zu bringende Klinkeroptik, da heißt es sich ranhalten, sie
liegen auch ganz gut in der Zeit, es ist kurz vor elf, da geht
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