Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pitch (German Edition)

Pitch (German Edition)

Titel: Pitch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weski
Vom Netzwerk:
auf dem Weg
zum Arbeitsamt beinahe überfahren worden wäre, von einer
schwarzen Limousine, mitten im Ort, was geht das mich an, fragt Kurz
zurück, oder anders, was habe ich damit zu tun, nüscht, gaa
nüscht, natürlich, räumt Herbert Rettkow ein, ick
wollte doch nur erklären, warum der Antrag so aussieht, aber
Kurz will davon nichts wissen, er hat nur solche Fälle, er hört
täglich solche Ausreden, es interessiert ihn nicht, nicht mehr,
ob einer oder alle von ihnen da draußen unter die Räder
kommen, er kann ohnehin nichts für sie tun und die allermeisten
wollen auch gar nicht, dass man etwas für sie tut, sie wollen
nur Geld, aus dem Westen, fragt er, kam er aus dem Westen, der Wagen,
ick weeß nich, ick hab mir det Nummernschild nich mehr so jenau
anschau’n könn’, tja, Herr Rettkow, Westen ist auch
die Richtung, die Sie bereits vor zehn Jahren hätten einschlagen
sollen, Kurz sagt es, weil er es denkt, und er denkt auch, dass er
selbst den Westen niemals hätte verlassen dürfen, dass er
längst wieder dorthin hätte zurückkehren sollen, auf
einmal steckt er voller gehässiger Gedanken, die raus wollen,
nicht weil er bösartig wäre, sondern weil er frustriert
ist, resigniert, langsam überzeugt von der Aussichtslosigkeit
der Lage, wütend über die eigene Hilflosigkeit, wütend
auf alle, die ihn diese Hilflosigkeit tagtäglich spüren
lassen, abends denkt er, wenn er zu Hause sitzt und seinen billigen
Kognak schlürft, dass er sich wie ein Schwein verhält, und
dann, immer noch, aber nicht mehr so oft wie früher, nimmt er
sich vor, sich zu bessern, netter mit den Leuten umzugehen,
freundlicher ihre Anträge zu bearbeiten, manchmal gelingt ihm
das auch, bis er sich dann eingesteht, dass es ihm nur bei den sehr
wenigen jüngeren Frauen gelingt, aber selbst die hat er bald
wieder über, zu ungebildet meistens, immer zu unmotiviert, dann
kriegen sie Kinder, und Kindergeld, aber damit ist die Versorgung
nicht gesichert, Gott, wie oft hat er es schon erlebt, dass sobald
das Kind da ist, der Vater weg ist, und selbst wenn er nicht weg ist,
dann bekommen sie eben alle drei Sozialhilfe, wenn Kurz soweit ist
mit seinen Gedanken, kippt er mehr als den einen Kognak, und manchmal
rastet er auch aus, dann gesteht er es sich ein, dass seine Reise in
den Osten ihn in eine Sackgasse geführt hat, ein Narr ist er
gewesen, zu glauben, hier weiterkommen zu können, Wilde, nichts
als Wilde sind die Menschen hier für ihn, er hätte nie
hierher kommen dürfen, aber, schlimmer noch, er hat auch noch
seine Frau nachkommen lassen müssen, missionarisch war er
gewesen, und missioniert hat er, jede lächerliche
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme hat er als er Heilsbringung, jede
noch so unsinnige Ich AG als Bekehrung zum wahren Glauben gefeiert,
er hat sogar selbst geglaubt, hier Karriere machen zu können,
bis er einsehen musste, dass hier nichts zu holen und nichts zu
verteilen war, heute, wenn er sich durch die dunklen Flure der
Agentur für Arbeit seinen Weg bahnt, umringt von diesen dunklen
Gestalten, beobachtet von ihren stummen Blicken, dann beschleicht
ihnen dieses Grauen, dieses seltsame Gefühl der Fremdheit, und
dann denkt er, schlagt sie alle tot, wenn er in dieser Stimmung nach
Hause kommt, abends, abgearbeitet, schlägt er selbst, dann fängt
die kleine Anna-Lena eine, wenn sie nicht ins Bett geht oder wenn sie
etwas umwirft, etwas kaputtmacht, auf seinen Nerven herumtrampelt, so
wie gestern Abend, und dann liegt er neben seiner Hilke im Bett, die
dann nicht mehr mit ihm spricht, um ihn zu bestrafen einerseits,
andererseits aus Furcht, das geht ihm jetzt durch den Kopf, dieser
Rettkow sitzt vor ihm, schweigt, der auch, denkt er, der hat auch
Angst vor mir, irgendwas sagt in ihm, sei nett, sei nett zu dem Mann,
er ist über fünfzig, er hat nichts mehr zu erwarten, er
wird nie mehr einen Job bekommen, er wird noch zwanzig, dreißig
Jahre dieses Leben führen müssen, dahinvegetieren wird er,
besser wäre es gewesen, es hätte ihn heute schon erwischt,
vermutlich ist er wirklich schier überfahren worden, schau ihn
dir an, ganz schmutzig die Hose, ganz bleich das Gesicht, sei
großzügig, gib ihm eine Verlängerung, tu es für
Anna-Lena, tu es für Hilke, tu es für dich, tu es für
ihn, tu es, auch wenn es nichts bringt, tu es trotzdem, also, Herr
Rettkow, sagt er, ich will mal nicht so sein, hier ist ein neues
Formular und wenn Sie es mir morgen ausgefüllt vorlegen, dann
drücke ich noch einmal ein Auge

Weitere Kostenlose Bücher