Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
Vom Netzwerk:
Venedig
    10
    VENEDIG
    Die Station der Militärärzte lag als schimmernder Lichtschein hinter ihm. In Gedanken zählte Iwan an den Fingern ab: die Tschernyschewskaja , die Ploschtschad Lenina, dann folgte als nächste bereits die Wyborgskaja . Richtig?
    Im Gegensatz zu den Bollwerken der Allianz war der Kontrollposten der Wyborgskaja eher formeller Natur. Keine Sandsäcke, keine Maschinengewehre, keine Scheinwerfer. Mitten im Tunnel stand ein einfacher Schreibtisch, dahinter zwei Stühle. Auf den Stühlen lümmelten zwei Männer in grauen Uniformen, die mit Sturmgewehren bewaffnet waren. Hinter dem Posten befand sich ein abgesperrter Bereich, in dem alte Metrositze aneinandergereiht waren. Auf einem davon schlief ein Zivilist – vielleicht hatten sie den festgenommen. Die Beleuchtung des Postens bestand aus einer einzigen Lampe, die von einem Akku unter dem Tisch gespeist wurde.
    Iwan grüßte die Zöllner und nannte seinen Nachnamen.
    »Woher kommst du?«, fragte einer der Männer gelangweilt. Sein Gesichtsausdruck wirkte wie eingefroren.
    »Von der Wosstanija .«
    Iwan wusste, dass er mit dieser Antwort weitere Fragen provozieren würde, doch woher sonst hätte er schon kommen sollen?
    Wider Erwarten ging der Zöllner nicht weiter darauf ein, sondern nickte nur.
    »Was hast du dabei?«
    »Gasmasken, die ich verkaufen möchte. Ansonsten nur Kleinkram, nichts von Belang.«
    »Zeig mal.«
    Iwan öffnete seine Tasche. Der Zöllner spähte hinein. Dann nahm er einen dicken, karierten Zettelblock zur Hand und feuchtete seinen Bleistift mit Spucke an.
    »Als Zweck des Aufenthalts trage ich Handel ein. Macht zwei Patronen.«
    Iwan seufzte. Klar, ohne Zoll lief in der Metro gar nichts.
    »Warum so viel?«, erkundigte er sich.
    »Die Zeiten sind eben so«, erwiderte der Zöllner. Er trennte den Zettel säuberlich aus dem Block und reichte ihn Iwan. »Wenn es dir zu teuer ist, kannst du ja umkehren.«
    »Schwere Zeiten«, kommentierte Iwan.
    »Da kannst du recht haben«, pflichtete der Zöllner bei. »Schon das Neueste gehört? Die Verrückten von der Waska haben die Moskowiter plattgemacht. Gnadenlos, auch Frauen und Kinder. Wie kann man nur so was tun? Aber was erzähle ich dir, du weißt wahrscheinlich mehr darüber als ich.« Er stutzte und sah Iwan befremdet an. »Warum bist du denn auf einmal so blass um die Nase? Sag bloß, du bist selbst ein Moskowiter?«
    »Ja.«
    Iwan schwankte, ihm war schwindlig. Vielleicht von dem langen Marsch. Oder einfach so.
    »Verstehe«, sagte der Zöllner. »Tut mir leid, mein Freund. Um ehrlich zu sein: Früher konnte ich eure Sippschaft nicht besonders leiden, aber das ist nun wirklich der Hammer. So kann man mit Menschen doch nicht umgehen. Keine Ahnung, was die Typen von der Wassileostrowskaja geritten hat.«
    Iwan hatte plötzlich wieder das Bild von Gladyschew vor Augen. Wie er die Zähne fletscht. Wie er einem Wehrlosen das Brecheisen in den Körper rammt, dass das Blut hervorspritzt.
    »Die waren es nicht«, entgegnete Iwan halbherzig. »Es waren die Admiralzen.«
    Diese handfeste Lüge kam ihm nur schwer über die Lippen.
    »Ach was«, entgegnete der Zöllner, dessen Miene inzwischen vollends aufgetaut war. »Wer hat dir denn das erzählt? Die Admiralzen sind auch nicht von Pappe, da hast du schon recht. Aber im Vergleich zu denen von der Waska sind das Waisenknaben. Angeblich sollen die Angreifer von dort jetzt vor Gericht gestellt werden – als Kriegsverbrecher. Da müsstest du eigentlich als Zeuge aussagen. Diesen Bastarden gehören die Grenzen aufgezeigt. Ich habe gehört, dass sie dort mit Flammenwerfern Leute verbrannt haben. Das ist ja wohl das Allerletzte …«
    »Wie viel, sagtest du, bin ich schuldig?« Iwan hatte nicht die geringste Lust, dieses Gespräch fortzusetzen. »Zwei Patronen?«
    Zu Iwans Überraschung winkte der Zöllner ab.
    »Vergiss es. Gib mal her.«
    Der Mann war auf einmal die Gutmütigkeit in Person.
    »Was denn?«
    »Na, den Zettel. Ich mach dir einen Stempel drauf.« Der Zöllner nahm den Zettel, hauchte den Stempel an, klatschte ihn zweimal auf das Papier, trennte die eine Hälfte ab und händigte die andere Iwan aus. »Du kannst durch, mein Freund. Und die Patronen behältst du besser, du brauchst sie dringender als wir.«
    »Ja«, sagte Iwan. »Vielen Dank.«
    Auf dem Zettel befand sich ein rechteckiger Stempel: »Medizinische Untersuchung absolviert«.
    Die Zeiten ändern sich.
    Die Tunnel ändern sich.
    Die Menschen ändern sich.
    Die Fragen

Weitere Kostenlose Bücher