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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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habe ich die Welt um mich herum nie richtig wahrgenommen? Weißt du, meine Frau hat sich immer beklagt, dass ich nicht einmal in der Lage bin, einen Spaziergang mit ihr zu machen. Mit ihr und unserem Töchterchen. Dass ich immer einen Grund finde, wegzugehen, um etwas angeblich sehr Wichtiges zu erledigen. Ich war immer so beschäftigt. Und jetzt sehne ich mich so sehr nach diesen fünf Minuten zurück. Nach diesen fünf Minuten im Park, damals, im Herbst. Es war ein trüber, windiger Tag und buntes Laub wirbelte durch die Luft. Das weiß ich noch, Gorelow. Und mein Töchterchen lief mit rudernden Armen auf mich zu. Durchs feuchte Laub. Meine Frau stand daneben. Diese fünf Minuten fehlen mir so unsäglich. Ich wünsche mir, dass mein Töchterchen noch einmal auf mich zuläuft. Ich möchte sie betrachten, ihr Haar berühren. Dieses weiche Haar, vom Wind zerzaust. In solchen Augenblicken wie jetzt wird dir klar, wen du wirklich liebst. Und das sind keine leeren Worte. Wenn der Tod die Ewigkeit bedeutet, dann will ich eine Ewigkeit mit bunten Blättern. Und dass mein Töchterchen zu mir läuft und ›Papa!‹ ruft. Das ist wahnsinnig sentimental, nicht wahr, Gorelow? Gorelow, sag doch was. Ich habe sonst nichts mehr. Nur ein schwarzes Nichts. Wenn es Gott gibt, möge er ihnen Licht spenden, ich komme auch ohne aus. Die Dunkelheit macht mir nichts, wenn ich weiß, dass meine Liebsten Licht haben. Wir haben uns selbst vernichtet. Jetzt, solange die Raketen noch in der Luft sind, diese fünfzehn Minuten … Wenn ich könnte, würde ich vor Scham sterben. Vor Scham gegenüber meinem Töchterchen. Dumm, nicht, Gorelow? Sag was, Gorelow, bitte. Warum sagst du denn nichts?«
    Besetztzeichen.
    Iwan legte auf.
    »Was war das?« Iwan trat zu dem Alten und packte ihn am Kragen. »Was – war – das?!«
    Die blinden Augen des Alten schauten über Iwans Schulter hinweg ins Leere.
    »Das Telefon?«
    »Ja, verdammt! Das Telefon!«
    Im nächsten Moment begriff Iwan, dass er flog. Der Alte hatte ihm einen heftigen Stoß versetzt. Iwan rollte über den Boden. Ihm wurde schwarz vor Augen. Als er endlich ruhig lag, krümmte er sich zusammen. Der alte Sack war nicht gerade zimperlich.
    »Tief durchatmen«, empfahl der Blinde. »Das mit dem Telefon ist ganz einfach zu erklären.«
    »W-wie …« Iwan bekam keine Luft. Die Schmerzen strahlten vom Solarplexus aus wie heftige Stromschläge. »Wie …«
    »Eine Aufzeichnung«, sagte der Alte.
    Er hatte den Kopf leicht angehoben, als würde er horchen. Seine weißen Augen wirkten abwesend.
    »Was?«
    »Eine gewöhnliche Aufzeichnung, nichts weiter«, wiederholte der Alte mit spöttischem Unterton. »Das ist hier ein halbmilitärisches Objekt. Da werden Gespräche üblicherweise aufgezeichnet.«
    »Und wer hat dann angerufen?«, fragte Iwan, obwohl er die Antwort schon ahnte.
    »Dein Schicksal«, verkündete der Alte weihevoll, bleckte die wenigen verbliebenen Zähne und brach plötzlich in Gelächter aus. »Quatsch. Der Anruf wurde automatisch ausgelöst. Das ist schon weiß der Henker wie lange her. Da hat sich irgendein Kontakt geschlossen. Anruf, Anrufbeantworter, nichts weiter.«
    »Was?!«
    »Das lässt sich alles erklären, Iwan. In der Metro gibt es keine Wunder. Schreib dir das hinter die Ohren, Grünschnabel.«
    »Wie sehen deine weiteren Pläne aus?«
    Iwan kratzte sich am Hinterkopf. Es kam ihm albern vor, darauf zu antworten. Andererseits wollte er den Alten nicht beleidigen. Schließlich hatte der eine ganz normale Frage gestellt.
    »Lass mich raten«, sagte der Alte. »Du willst Rache nehmen, nicht wahr? Deine Feinde töten.«
    Sasonow, Orlow, Memow.
    Egal in welcher Reihenfolge.
    »Ja«, erwiderte Iwan. »Damit liegst du nicht falsch.«
    »Angenommen, es gäbe eine Aufgabe von globaler Bedeutung. Was würdest du tun? Eine Aufgabe, bei der es nicht um ein Einzelschicksal geht, wie in deinem Fall, sondern um das Überleben der Menschheit.«
    »Aha, ich soll also die Welt retten? Toll.«
    »Sehr komisch«, entgegnete der Alte barsch. »Aber es geht tatsächlich in diese Richtung. Machst du dir überhaupt eine Vorstellung davon, was das Leningrader AKW für die Menschheit bedeutet?«
    An diesem AKW schien der Alte einen Narren gefressen zu haben.
    »Bei allem Respekt – aber im Augenblick habe ich keinen Kopf dafür. Können wir uns darauf einigen, dass ich mich später damit befasse? Lass mich zuerst meine eigenen Angelegenheiten regeln, dann sehe ich, was ich für dich tun kann.

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