Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
auseinander.
Was empfinden wir, wenn das geschieht?
Die Welt gerät aus den Fugen, sie knirscht unter der Sohle wie eine Glaskugel.
Sie wird zerdrückt wie eine Patronenhülse von einem Stiefelabsatz.
Was empfinden wir dabei?
Nichts.
Außer der Erschütterung.
Nach ungefähr hundertfünfzig Metern endete der schmale Schacht im Wasser.
Interessant. Iwan leuchtete nach links und nach rechts: Tunnelwände. Vor ihm nichts als Wasser. Schöne Bescherung.
Violator hatte doch von einer Stadt auf dem Wasser gesprochen. Und? Wo war die jetzt?
Das Wasser im Lichtschein der Lampe kräuselte sich leicht. Es war schwarz und dickflüssig wie Öl. Und es stank erbärmlich.
Eure komische Stadt kann mir gestohlen bleiben, dachte Iwan. Aber ich muss hier irgendwie durch.
Zu Fuß konnte er nicht weiter, dafür stand das Wasser im Tunnel zu hoch. Schwimmen? Iwan nahm die Taschenlampe in die andere Hand, ging in die Hocke und beugte sich über die glitzernde Oberfläche. Typisches Metrowasser. Schmutzig. Überall schwamm Müll.
Stopp. In Iwans Hinterkopf machte sich bleierne Schwere breit. Die innere Stimme.
Ein vages Gefühl. Iwan rückte vom Wasser ab. Da, ein Plätschern. Und noch einmal.
Er trat zwei Schritte zurück, stolperte und fiel auf den Hosenboden. Mist. In seinen Ohren lag ein leises, pfeifendes Geräusch. Was ging hier vor?
Iwan fiel das Ungeheuer an der Primorskaja wieder ein. Auf eine weitere Begegnung dieser Art konnte er gerne verzichten. Die Bestie war damals auch aus dem Wasser gekommen.
Das Thema Schwimmen war damit vom Tisch. Andererseits konnte er auch nicht einfach hier sitzen bleiben und auf bessere Zeiten warten.
Wenn er hier irgendwo einen Lüftungsschacht fände? Dann an die Oberfläche klettern und zu Fuß durch die tote Stadt laufen. Tolle Idee. Allein, praktisch unbewaffnet, ohne Schutzanzug und Dosimeter. Eine ziemlich sichere Methode, Selbstmord zu begehen.
Dieser Durchgang zum Wasser musste doch irgendeinen Sinn haben! Ob er mal rufen sollte?
Iwan begann, die Tunnelwände abzuleuchten, und wurde schon bald fündig. Im Beton steckte eine rostige Öse, von der eine Schnur herabhing. Das andere Ende der Schnur verlief horizontal an der Tunnelwand und verlor sich in der Dunkelheit.
Iwan überlegte nicht lange und zog an der Schnur. In der Ferne hörte man etwas klingeln. Ganz leise. Iwan zog noch einmal kräftiger an der Schnur. Diesmal war das Klingeln schon viel lauter.
Klarer Fall: eine Rufvorrichtung. Fragte sich nur, wen er da gerade gerufen hatte. Iwan zog noch einmal an der Schnur, um sicherzugehen, dann hockte er sich auf einen Steinblock und wartete.
Nach einiger Zeit tauchte in der Ferne ein Licht auf. Jemand schwenkte eine Lampe. Ein Signal. Iwan erwiderte es, indem er seinerseits die Lampe schwenkte.
Es verging noch die eine oder andere Minute, dann hörte Iwan ein plätscherndes Geräusch, das langsam näher kam. Aus der Dunkelheit schälten sich die Umrisse eines Boots heraus, das beinahe lautlos über das Wasser glitt. Das plätschernde Geräusch kam von einem Ruder.
Im Boot stand ein etwa vierzigjähriger Mann mit einem schmutzigen Stirnband am Kopf und schaute Iwan grimmig an.
»Schätze, du willst zur Siedlung rüber?«, fragte er ohne Begrüßung.
»Ja.«
»Macht zehn Patronen.«
»Warum so teuer?«
»Der Herr möchte einen Sonderpreis? Kein Problem. Eine Patrone. Dann musst du aber hinter dem Boot herschwimmen.«
»Okay, okay«, sagte Iwan. »Ich steige lieber ein.«
Violator hatte Venedig zutreffend beschrieben. Es handelte sich um eine Stadt auf Pfeilern. Entlang des Tunnels erstreckte sich ein ganzes Wohnviertel auf dem Wasser. Aus Holzbrettern zusammengezimmerte Plattformen bildeten kleine Inseln. Dazwischen schwammen Boote und allerlei Unrat.
Neben dem Boot trieb eine Konservendose vorbei. Iwan wollte schon danach greifen, doch der Bootsmann schüttelte den Kopf.
»Wieso?«, fragte Iwan.
Der Bootsmann zuckte mit den Achseln. Das sollte wohl heißen: Tu, was du nicht lassen kannst, aber beschwer dich hinterher nicht.
»Ist da irgendwas drin?«
Der Bootsmann antwortete nicht. Stattdessen zog er kraftvoll das Ruder durchs Wasser und das Boot schwamm an der nächsten Hütte vorbei. Iwan fiel auf, dass die Plattformen nicht fest verankert waren, sondern lose auf dem Wasser lagen. Die Pfeiler fixierten sie nur in ihrer Position. Für den nötigen Auftrieb sorgten ganze Batterien von Plastikkanistern und -flaschen in allen nur erdenklichen Farben und
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