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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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einiges. Unter anderem auch den erbärmlichen Alkoholgestank. Der Oberführer hatte eine Fahne bis hinunter zum Newski prospekt .
    »Du machst Sachen.« Iwan pfiff durch die Zähne. »Ich dachte eigentlich, du bist tot und die Moskowiter haben deine Haut längst auf Trommeln aufgespannt. Und jetzt treffe ich dich hier.«
    »Ich bin zäh wie eine Schuhsohle«, verkündete der Oberführer. Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete er sich auf und setzte sich zu Iwan auf die Bank. Seine verrenkte Pose erinnerte an Onkel Jewpat. Der krümmte sich auch immer so, wenn seine alte Beinverletzung schmerzte. »Diese Bastarde hatten Angst, sich die Zähne an mir auszubeißen.«
    »Und wie hat es dich hierherverschlagen?«, erkundigte sich Iwan.
    Bevor der Oberführer antwortete, starrte er sekundenlang mit offenem Mund ins Leere.
    »Ich erinnere mich nicht mehr.«
    Mit neunzehn Jahren hatte der Oberführer festgestellt, dass die Frauen auf ihn flogen. Daraufhin zog er sich aus dem schnöden Universitäts-Alltag zurück, um sich ganz den fleischlichen Genüssen des Lebens hinzugeben.
    Das Institut am Lenin-Prospekt war nun nicht länger ein grauer, freudloser Klotz, sondern ein pulsierender Marktplatz der Leidenschaften. Das altehrwürdige Gemäuer atmete neuerdings den Reiz der Verführung, lockte mit schwingenden Hüften, flirtenden Blicken und klimpernden Wimpern, die so lang waren wie eine Polarnacht. Außerdem barg es eine gewisse Gefahr, denn Rivalenkämpfe um Frauen hielt der Oberführer damals für die natürlichste Sache der Welt.
    »Wie bist du hierhergekommen?«, fragte Iwan aufs Neue.
    »Ich weiß es nicht mehr.«
    Immer wieder durchkämmte der Oberführer sein Gehirn auf der Suche nach versprengten Erinnerungsfetzen, doch er fand sich jedes Mal in einer Wüste des Vergessens wieder. Was immer sich auch ereignet hatte, seit der Angriffsbefehl erteilt und der Oberführer in den Tunnel gesprungen war – es war in seinem Gedächtnis wie ausgelöscht. Posttraumatische Amnesie, diagnostizierte er selbst und fand sich mehr oder weniger damit ab.
    »Wo sind wir hier?«, fragte er interessehalber, obwohl es ja eigentlich egal war, wo er sein neues Leben begann.
    »In Neuvenedig. Ganz in der Nähe der Gorkowskaja . Kannst du dich wirklich an gar nichts mehr erinnern?«
    »Ich weiß nur, dass ich an ein hermetisches Tor gepinkelt habe, als ich wieder zu mir kam.«
    Iwan zog die Augenbrauen hoch. »Nach einer Expedition?«
    »Möglich. Vielleicht habe ich ja eine schwere Gehirnerschütterung?«
    »Schau mich mal an«, befahl Iwan und inspizierte seine Augen. »Nö. Die Pupillen sind gleich groß. Jetzt sag mal einen Zungenbrecher.«
    »Krasse Katze kratzt kahle Glatze. – Nee, alles im Lot bei mir, Mann.«
    »Sieht ganz danach aus«, pflichtete Iwan bei.
    »Haben wir die Wosstanija nun erobert oder nicht?«
    Iwan zögerte. »Tja, was soll ich dazu sagen … Irgendwie schon«, sagte er schließlich mit vielsagender Miene.
    Der Oberführer kratzte sich am Hinterkopf. »Wo sind wir denn nun, Mann?«, fragte er abermals.
    »An der Gorkowskaja . Genauer gesagt, im Verbindungstunnel zwischen Gorkowskaja und Newski prospekt .«
    »Wie soll das denn gehen?«, fragte der Skinhead erstaunt. »Der Tunnel ist doch verschüttet!«
    »Ganz recht«, erwiderte Iwan. »Du musst schon übel eins auf die Rübe bekommen haben, wenn du nicht einmal mehr weißt, wie du hierhergekommen bist.« Der Digger stutzte plötzlich und beugte sich vor. »Zeig mal deine Hand!«
    »Was?«
    »Nicht die. Die andere!« Iwan schaute dem Oberführer in die Augen. »Wo sind deine Fingernägel, verdammt?!«
    Der Skinhead neigte den Kopf, betrachtete seine Hand und zuckte zusammen. Auf seinen Fingerspitzen befanden sich anstelle der Nägel nur hässliche rosarote Fleischkissen, die frisch verheilt waren. Einzig den Daumennagel hatte er noch. Der Oberführer ballte die Hand zur Faust und öffnete sie wieder. In seine Stirn gruben sich tiefe Furchen. Wieder versuchte er krampfhaft, sich zu erinnern.
    »Wer hat dich so zugerichtet?«, fragte Iwan.
    »Ich finde den, der das gemacht hat.« Der Oberführer fletschte die Zähne. »Und ich werde ihm mit einer Zange die Eier abreißen. Ganz langsam.« Dann seufzte er und fügte hinzu: »Ich erinnere mich nicht. Aber das ist eigentlich auch schon egal.«
    Iwan wachte auf. Irgendjemand befand sich ganz in der Nähe.
    Vorsichtig öffnete er die Augen. Dort. Er zog das Messer, das ihm der Alte geschenkt hatte, und fasste es so, dass

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