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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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Digger-Jargon nannte man so etwas »Phänomen Bo« – wenn jemand einen Bock schoss, von dem man es am wenigsten erwartete. Andererseits: So etwas konnte immer mal passieren.
    Die Wassileostrowskaja hatte nie zu den schönsten Metrostationen gehört wie zum Beispiel die Ploschtschad Wosstanija mit ihrer hohen Gewölbedecke, dem prunkvoll ausgestalteten Saal, den schweren Bronzeleuchtern und stuckverzierten Säulen. Die »Waska« , wie die Nachbarn von der Admiraltejskaja und vom Newski prospekt sie familiär nannten, war eine ausgesprochen asketische Station und insofern bestens darauf eingerichtet, Hunger, Kälte, die Überfälle von Monstern und die Spermatoxikose ihrer Verteidiger zu ertragen. Mit anderen Worten: eine typisch Sankt Petersburger Festung.
    Noch bevor Iwan die Bahnsteighalle betrat, hörte er das Dröhnen der Belüftungsanlage. Das Geräusch verursachten die Filter, durch die die Luft von der Oberfläche gepresst wurde. Ihr zentrales Beleuchtungssystem hatte die Wassileostrowskaja wie die meisten anderen Stationen längst eingebüßt, die Luftfilteranlagen und die Grundwasserpumpen funktionierten dagegen immer noch. Das war allerdings kein billiges Vergnügen, denn die »Masuten« von der Technoloschka ließen sich ihre Ingenieurdienste teuer bezahlen.
    Aber was blieb einem anderes übrig?
    Dafür waren die Tunnel beinahe trocken. Und selbst in der nachts verschlossenen Station hatte man genug Luft zum Atmen.
    Iwan kniff die Augen zusammen. Nach dem langen Aufenthalt in der Dunkelheit blendete ihn selbst die dezente Nachtbeleuchtung. Egal wo er hinschaute, überall tanzten bunte Flecken.
    An der Station herrschte Nacht. Die von einem Dieselgenerator gespeiste Hauptbeleuchtung war zu dieser Zeit ausgeschaltet. Es brannten nur die Nachtlampen – mit Akkus betriebene chinesische Lichterketten, die man über den Türnischen verlegt hatte. Nachts wirkte die Station deshalb behaglicher als sonst. Eine friedvolle Atmosphäre: das leise Atmen schlafender Kinder, durchsetzt vom Husten und Schnarchen der Erwachsenen, dazu das milde, bunte Licht der roten, blauen und gelben Lämpchen.
    Iwan schritt durch den schmalen Gang zwischen den Zelten, die den größten Teil des Bahnsteigs einnahmen. Dieser Gang war die Hauptstraße der Wassileostrowskaja , sozusagen ihrNewski-Prospekt, der nur nachts existierte. Tagsüber wurden die Zelte abgebaut und zusammengelegt, um Platz zu schaffen: an Werktagen für die Arbeit, am Wochenende und an Feiertagen für Freizeitaktivitäten. Am südlichen Ende der Station befanden sich hinter einem Eisengatter die Käfigreihen der Tierzucht. Manchmal wehte von dort ein strenger Geruch herüber. Kinder ab vier Jahren schliefen in einem eigenen Zelt – dem Kindergarten.
    Iwan ging an den ausgeblichenen, vielfach geflickten Zelten vorbei und lauschte dem nächtlichen Schnaufen, Husten und Schnarchen. Manch einer brummelte etwas im Schlaf, bevor er sich auf die andere Seite drehte und wieder verstummte. Die gute, alte Wassileostrowskaja .
    Morgen würden sie den Bahnsteig freiräumen und Tische aufstellen. Es stand eine Feier ins Haus. Bis dahin blieben noch … Iwan wandte sich um und blickte zur Stationsuhr, die über dem Ausgang zu den Rolltreppen hing. Die gelben Ziffern zeigten vier Uhr dreiundzwanzig. Noch drei Stunden.
    Iwan war lange unterwegs gewesen. Während er den Bahnsteig entlangging, hatte er manchmal den Eindruck, im grauen Granitboden zu versinken. Dann hob er schnell den Kopf und wachte wieder auf.
    Nichts wie ins Bett.
    Doch vorher musste er seine Ausrüstung abgeben und sich waschen.
    »Wo bist du denn gewesen?«, fragte Katja, die Leiterin von Ausrüstungsdepot und Sanitätsstation, mit vorwurfsvoll funkelnden Augen.
    »Komische Frage. Sieht man das etwa nicht?«, erwiderte Iwan, während er seinen »Aladin« ablegte.
    Der ABC-Schutzanzug L-1 war ein unentbehrliches Utensil, ohne das man an vielen Orten aufgeschmissen gewesen wäre. Vor allem wenn man ein bisschen Wert auf das legte, was sich unterhalb der Gürtellinie befand.
    »Ich bin ja nicht blind. Du starrst vor Dreck. Schlimmer als ein Zombel.«
    Iwan warf den »Aladin« in den Metallcontainer für die Dekontamination, dann zog er seine Gummistiefel aus und legte sie dazu. Jetzt waren die Fußlappen an der Reihe. Iwan wickelte sie ab und rümpfte die Nase: Was für ein Aroma. Seine Füße durchströmte ein sanfter, fast wohliger Schmerz, als würden sie aufatmen. Iwan stopfte die Fußlappen in den Container

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