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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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»Du läufst vor deinem Schicksal davon, während du selbst der Meinung bist, dass du dich deinem Ziel näherst. Doch dem ist nicht so. Das Schicksal hat einen anderen Weg für dich vorgesehen.«
    Womöglich über das AKW?, dachte Iwan sarkastisch. Der alte Enigma würde sich freuen. Aber was soll’s, das erzählt sie wahrscheinlich jedem.
    Iwan rieb sich das Handgelenk. Seine Hand schmerzte immer noch. Er hatte nicht gewusst, dass hier zum Wahrsagen das Blut des Ratsuchenden befragt wurde.
    »Und noch etwas …« Sie starrte in die Tasse. »Hier sehe ich ein böses Zeichen. Ich wollte es dir nicht sagen …«
    »Raus damit«, verlangte Iwan mit Nachdruck.
    »Du wirst deinen eigenen Vater töten.«
    Dazu müsste ich erst mal wissen, wer es überhaupt ist.
    »Durchaus möglich, dass es so weit kommt«, entgegnete Iwan ruhig.
    Die Hexe schaute ihn an. Abermals erschütterte Iwan der Anblick der grauenvoll konturlosen Fleischmasse, die ihre gesamte rechte Gesichtshälfte überzog. Mein Gott, was war sie für eine wunderschöne Frau gewesen.
    »Die Götter schätzen nicht denjenigen, der sich klaglos in sein Schicksal ergibt«, sagte die Hexe. »Sondern den, der sich dagegen auflehnt.«
    Nach einer halben Stunde kehrte er zu ihrem Zelt zurück, trat ein und streckte ihr die Hand hin. Die Hexe schaute sie aufmerksam an und griff dann wieder zu ihrer Pfeife. Sie zog daran und blies den graublauen, bitterwürzigen Rauch in die Luft.
    »Ich werde nicht mit dir schlafen«, sagte sie ohne Umschweife.
    Iwan wurde verlegen.
    In seiner Hand lag ein Häufchen Patronen. Die Hülsen glänzten.
    »Wieso?«
    »Gute Frage für jemanden, der seinen Vater töten wird. Weil du mir gefällst.« Die Hexe sah ihn an. Ihr Auge funkelte. »Und um mit jemandem zu schlafen, der einem gefällt, muss man sich auch selbst gefallen – zumindest ein bisschen. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich hasse mich.«
    Im Zorn war sie abartig schön.
    In diesem Augenblick verstand Iwan, wie Lalis Bruder Artjom sich in die verunstaltete Hexe hatte verlieben können.
    »Ich habe die Patronen eigentlich nicht deshalb mitgebracht«, erwiderte Iwan.
    Lachesis sah ihn an, als könnte sie in seine Seele blicken, und grinste triumphierend.
    »Aber du hast daran gedacht, nicht wahr? Geh, Iwan, geh. Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder.«
    Iwan zog die Hand mit den Patronen zurück.
    »Hast du deinen Parnas gefunden? Dein Künstlerparadies?«, fragte Iwan.
    Lachesis brach in schauderhaftes, krächzendes Gelächter aus.
    »Schau mich an, Iwan. Was siehst du? Das habe ich dem Parnas zu verdanken.«
    Iwan stutzte.
    »Wie das?«
    »Man hatte uns erzählt, dass der Parnas für Vagabunden wie uns Zirkusleute das reinste Paradies sei. Dass er die Station der Maler, Dichter, Musiker und Schauspieler sei.« Sie zog an ihrer Pfeife und blies den Rauch durch den Mundwinkel. Bläuliche Wolken schwebten durchs Halbdunkel des Zelts. »Anfangs wurden diese Versprechungen wahr. Als wir dort ankamen, waren wir begeistert. Von dem schönen Ambiente und den hübschen, geistreichen Menschen dort. Alles Friede, Freude, Eierkuchen … Bis die Illusion eines schönen Tages zerplatzte wie eine Seifenblase.«
    »Und was hast du dann gesehen?«
    Die Hexe grinste bitter.
    »Es kann brutal sein, aus einem Traum gerissen zu werden, habe ich recht? Nichts als Ruinen dort. Eine heruntergekommene, verwunschene Station. Zerbrochene Fenster, die nach draußen führen. Und dann diese Gewächse. Alles war mit schwarzen Lianen überwuchert. Diese Lianen begannen sich plötzlich zu bewegen. Ein Menschenfresser. Ein Menschenfresser treibt dort sein Unwesen, Iwan. Er hat Maxim aufgefressen und den Zauberer Antonelli. Er hat uns alle aufgefressen.«
    »Dich auch?«
    »Wie du siehst, hat er sich alle Mühe gegeben.« Die Hexe brach abermals in ihr schauderhaftes, heiseres Gelächter aus. »Doch er hat es nur zur Hälfte geschafft. Und jetzt geh, Iwan. Gott verhüte, dass auch deine Träume vom Paradies in einer Begegnung mit dem Menschenfresser enden.«
    Wovon spricht sie?, fragte sich Iwan. Von der Wassileostrowskaja ?
    »Leb wohl, Lera«, sagte er.
    »Leb wohl, Iwan.«
    »Sonnentau«, erläuterte der Professor. »Eine fleischfressende Pflanze, die es bereits vor der Katastrophe gab. Einfach faszinierend. Sie lockte mit einem klebrigen Sekret Fliegen an und fraß sie dann auf.«
    Sie folgten nun derselben Route, die Iwan schon einmal gegangen war. An der Petrogradskaja mit ihren seltsamen Bewohnern

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