Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
legten sie einen Zwischenstopp ein, um Lebensmittel einzukaufen und sich ein wenig auszuruhen. Doch schon bald fühlten sie sich dort äußerst unwohl. Selbst der Oberführer, den sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte, wurde nervös und blickte sich ständig argwöhnisch um. Sein Bauchgefühl sagte Iwan, dass die Petrogradskaja kein guter Ort war, obwohl es keine offensichtlichen Anzeichen für Gefahr gab. Die ganze Atmosphäre hier hatte etwas Bedrückendes.
Die ursprünglich weiße Wandverkleidung aus Keramik war inzwischen vergilbt. Darüber verlief eine gelbe Metallblende, hinter der sich die Beleuchtung befand. Iwan ließ den Blick schweifen, und ihm wurde ganz anders zumute.
Es handelte sich um eine Station geschlossenen Typs, wie die Wassileostrowskaja . Doch während dort die nächtens geschlossenen Stahltüren ein Gefühl von Sicherheit vermittelten, hatte man hier eher den Eindruck, eingesperrt zu sein. Iwan hatte zuletzt mehr als genug Zeit hinter verschlossenen Türen verbracht und war nicht erpicht darauf, diese Erfahrung noch zu vertiefen.
Oder lag es an diesen überdimensionalen Gesichtern an der Stirnwand der Station?
Ein Mann und eine Frau schauten nach links. Sie wirkten martialisch und freudlos.
Nein, das ist es nicht, dachte Iwan, während er an einem Hartkeks knabberte. Es ist irgendetwas anderes. Etwas …
Iwan blickte zur gewölbten Decke der Station. Gelbliche Wasserflecken. Genau in der Mitte fraß sich ein Riss durch den Putz. Iwan folgte ihm mit den Augen, bis er sich verlor, und sah dann wieder gerade nach oben. Das war es. Derjenige, dessen Anwesenheit diese Beklemmung auslöste, befand sich über der Station.
An der Oberfläche.
Iwan stand auf und sah sich um.
Die Bewohner der Petrogradskaja waren ruhig und höflich. Fast ein bisschen zu ruhig und höflich.
»Machen wir uns vom Acker«, schlug Iwan vor. »Wir haben keine Zeit, hier ewig herumzusitzen.«
Die anderen erklärten sich sofort einverstanden. Sogar Mandela und der Oberführer pflichteten unisono bei. Iwan staunte. Dass die beiden einer Meinung waren, hätte man sich eigentlich in den Kalender schreiben müssen.
Sie verließen die Petrogradskaja sichtlich erleichtert.
Als Iwan die ersten Schritte im Gleistunnel tat, fiel die Anspannung wie ein riesiger Felsblock von ihm ab.
Nichts wie weg von hier, dachte er. Das ist gesünder.
Neuvenedig.
Diesmal waren sie gewarnt, als sie die Stadt auf dem Wasser betraten, und ließen entsprechende Vorsicht walten. Wie an einer feindlichen Station. Es war völlig klar, dass die Blinden beim letzten Mal mit dem stillen Einverständnis der örtlichen Administration gehandelt hatten. Doch wie hätte man das beweisen sollen?
Schweren Herzens verzichtete Iwan darauf, Lali zu besuchen. Natürlich hätte er sie gern gesehen oder wenigstens kurz Hallo gesagt. Doch er hatte Wichtigeres zu tun.
Tanja.
Sie passierten Neuvenedig ohne Zwischenfälle.
Der trockene Tunnel. Die letzte Rast vor dem Newski prospekt . Und Zeit, Abschied zu nehmen.
Iwan nahm Mandela beiseite und setzte sich mit ihm aufs Gleis. Im Hintergrund führten Wodjanik und der Oberführer wieder einmal eine erregte Debatte und der Professor beklagte sich über die »nicht stichhaltigen Argumente« des Skinheads.
»Willst du mir nicht erzählen, was du bei den Blinden gemacht hast?«, fragte Iwan.
Der Schwarze musterte den Digger mit seinen dunklen Augen und antwortete nicht. Verschwiegenheit gehörte an der Technoloschka offenbar zum guten Ton.
»Ich habe nach Beweisen gesucht«, antwortete Mandela schließlich doch. »Ein Freund hatte mich darum gebeten. Er wollte selbst hinfahren, aber sie haben ihn nicht weggelassen.«
»Beweise wofür?«
Nicht dass es mich etwas angeht, dachte Iwan, aber trotzdem …
Der Schwarze zögerte.
»Beweise dafür, dass das Atomkraftwerk immer noch läuft.«
»Was?« Iwan klappte der Mund auf. »Und, hast du welche gefunden?«
Mandela zuckte mit den Achseln.
»Wie soll ich sagen? Mein Freund ist Wissenschaftler. Er recherchiert, wann und wo die Zentralbeleuchtung abgeschaltet wurde.«
»Dann bist du also auch Wissenschaftler?«
»Schön wär’s.« Mandela seufzte. »Ich bin der Sohn eines Studenten aus Kenia. Ich weiß nicht, was man tun muss, um als Sohn eines afrikanischen Studenten für voll genommen zu werden. Jedenfalls bin ich nur ein einfacher Techniker. Gib her, hol dies und das, räum hier auf, wirf das weg – so geht das die ganze Zeit. Das ist schon fast so eine
Weitere Kostenlose Bücher