Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
Art Lebensmotto für mich.« Er lächelte verbittert. »Mein Freund, ja – der ist Wissenschaftler.«
Iwan wusste nicht, was er sagen sollte. Jeder hat eben seinen wunden Punkt.
»Und was ist nun mit der Stromversorgung?«, fragte Iwan, um aufs Thema zurückzukommen.
Mandela besann sich und sah auf.
»Ach so, ja. Es heißt, unter Saddam hätte es an allen Stationen eine zentrale Stromversorgung gegeben. Und jetzt nur an dreien. Warum ist das so? Man sollte doch meinen, dass es kein Problem wäre, einfach Kabel zu verlegen und die übrige Metro anzuschließen. Aber das Problem ist eben, dass es ein bestimmtes Verbrauchslimit gibt. Stell dir einen Stromzähler vor. Einen ganz einfachen, der die Kilowattstunden zählt. Dieser Zähler läuft und läuft, und wenn er einen bestimmten Wert erreicht hat, macht es klick und das Licht geht aus. Wobei es überhaupt keine Rolle spielt, wofür du den Strom verbrauchst, egal ob für Spielautomaten oder für Kinderchirurgie. Egal, wie viele aufgeschnittene Kinder du gerade im OP liegen hast, dem Zähler ist das egal. Wenn dein Limit erreicht ist, schaltet er dich ab. So ist das. Deshalb gibt es an der Technoloschka ein strenges Verbrauchslimit. Und dann heißt es wieder, wir seien habgierig. So, so. Ja, es stimmt schon …« Mandela schmunzelte. »Früher ist es mal vorgekommen, dass unsere Apparatschiks Strom an die Nachbarstationen verkauft haben. Doch bei der nächsten Prüfung hat man diese Herrschaften durchfallen lassen. Das wird also so schnell nicht mehr vorkommen.«
»Bei der Prüfung?« Iwan verstand kein Wort.
Mandela erklärte es ihm. Die Technoloschka wurde von einem Wissenschaftsrat regiert, der sich aus gewählten, verdienten Wissenschaftlern zusammensetzte. Einmal im Jahr fanden Wahlen statt, bei denen der Rektor, Projektleiter, Dekane und sonstige Amtsträger gewählt wurden. Jeder Amtsträger musste ein Programm vorlegen und vor einer Prüfungskommission des Rats verteidigen.
Entschieden wurde dann per Abstimmung. Die Kandidaten versuchten zu tricksen. Zum Beispiel war jeder darauf aus, bei den Prüfungen eher am Ende an die Reihe zu kommen. Wieso? Ganz einfach. Es war traditionell üblich, dass die Kandidaten für die Prüfungskommission ein Buffet organisierten, natürlich auch mit alkoholischen Getränken. Und Wissenschaftler sind bekanntlich keine Kinder von Traurigkeit. Je später man also an der Reihe war, umso größer die Chance, dass die Prüfer des Wissenschaftsrats bereits milde gestimmt waren. Man konnte jedoch auch übers Ziel hinausschießen, denn wenn man als einer der Allerletzten dran war, konnte es passieren, dass die Prüfungskommission bereits beschlussunfähig unter dem Tisch lag.
An der Technoloschka ging es überhaupt völlig normal zu. Man schmiedete Intrigen und die Jüngeren wurden gnadenlos untergebuttert. Jedenfalls behauptete das Mandela.
»Kannst du dir vorstellen, wie lange mein Freund gebraucht hat, bis er die Kilowattstunden für seine Versuche genehmigt bekam? Eine schier endlose Geschichte.«
»Verstehe, wegen des Verbrauchslimits.« Iwan wusste jetzt, was der Knackpunkt in Mandelas Erzählung war. »Dann wird die zentrale Stromversorgung also von Akkumulatoren gespeist?«
Der Schwarze zuckte mit den Achseln.
»Möglich. Oder von einem unterirdischen Kraftwerk mit Dieselgeneratoren und einem gigantischen Kraftstoffvorrat. Daran haben wir auch schon gedacht. Aber kannst du dir vorstellen, welche Unmengen von Abgasen ein solches Kraftwerk produzieren würde?«
Iwan nickte.
Die Rauchsäule hätte man von jedem Punkt in Sankt Petersburg sehen müssen. Diese Möglichkeit konnte man ausschließen. Also doch das Leningrader AKW? Vielleicht hatte der Alte ja doch recht gehabt und tatsächlich einen Anruf von dort erhalten?
»Das Atomkraftwerk?«, fragte Iwan.
»Kann schon sein«, erwiderte Mandela wenig überzeugt. »Da musst du dich mit meinem Freund unterhalten, ich kenne mich damit zu wenig aus.«
Nun stand die alles entscheidende Frage an. Andernfalls blieb alles nur Theorie.
»Wie könnte man die Zentralbeleuchtung an den übrigen Metrostationen wieder in Gang setzen?«
Mandela überlegte.
»Wie gesagt, da musst du dich mit meinem Freund unterhalten. Aber im Prinzip war unser Gedanke, dass es über das AKW eigentlich funktionieren müsste.«
Tam-tara-tam. Bato-ontschiki.
Dann hätte der Blinde recht gehabt und das AKW wäre in der Tat eine Aufgabe von globaler Bedeutung.
Eine Chance für die Menschheit.
Iwan
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