Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
einfach in Ruhe. Haben wir uns verstanden?«
Iwan blieb stehen und hob beschwichtigend die Hände. Wenn der jetzt noch zur Waffe griff …
»Okay, Jura.«
»Mandela«, rief der Oberführer und ging langsam auf ihn zu.
Der Schwarze riss plötzlich sein Gewehr hoch. Klack. Entsichert. Der Oberführer erstarrte.
Iwan fluchte still in sich hinein. Die Sache wurde allmählich ernst. Verdammt ernst.
»Versucht nicht, mich aufzuhalten«, warnte Mandela. »Bitte. Ihr seid meine Freunde. Ich habe nicht vor, auf euch zu schießen.« Sein trotziger Blick wanderte von einem zum anderen. »Aber ich werde es tun, wenn es nötig ist.«
»Du schwarzer Bastard, du krepierst doch gleich!«, explodierte der Skinhead. »Zieh gefälligst die Maske wieder an! Oder ich stopfe sie dir in den Hintern!«
Eine kurze Salve zerriss die Stille.
Verdammter Mist, das fehlte noch, dachte Iwan. Eigentlich müssten wir jetzt so schnell wie möglich von hier verschwinden.
Die Schmerzen im Hinterkopf des Diggers verhießen nichts Gutes.
»Mandela, ohne dich schaffen wir es nicht, die Draisine zu tragen!«, rief Kusnezow.
Kluger Junge!
Der Schwarze grinste.
»Ein gutes Argument«, entgegnete er. »Aber leider kommt es zu spät. Lebt wohl, Freunde. Wir treffen uns im nächsten Leben. Oder überhaupt nicht mehr. Und noch was. Geht mir nicht nach. Das bringt nichts.«
Mit dem Gewehr im Anschlag zog er sich langsam zurück.
»Warum?«, fragte Iwan, um Zeit zu gewinnen.
»Warum ich das tue?« Mandela blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Als wir dorthin unterwegs waren, zum AKW, da dachte ich noch, dass wir dort vielleicht irgendwas finden, woraus wir Hoffnung schöpfen können. Für uns. Für die Menschheit. Irgendwas. Ich weiß nicht, was! Aber dann hat sich herausgestellt, dass dort nur ein alter Trottel haust, der seinen Tee auf einem Kernreaktor kocht. Findet ihr nicht, dass das eine Metapher ist, die auf die gesamte Menschheit passt? Wir Menschen haben es schon immer so gemacht. Da gibt es nichts zu beschönigen.«
»Und sein Sohn?«, warf der Graue leise ein.
Mandela fuhr zusammen. Dann schüttelte er heftig den Kopf, als wollte er unangenehme Gedanken verscheuchen.
»Sein Sohn – das ist eine Chance.« Er grinste. »Aber nicht für uns, nicht für die Menschheit.«
»Und für wen dann?«
»Für solche Kreaturen wie ihn. Versteht ihr?«
Iwan richtete sich auf. »Ein anderes Ökosystem«, sagte er. »Er gehört zu einem anderen Ökosystem.«
»Ganz genau«, pflichtete Mandela bei. Der Wind zerzauste sein widerspenstiges schwarzes Haar. »Er ist ein Parasit. Wir haben nur nicht gleich bemerkt, dass dieser sogenannte Sohn ein Parasit ist. Aber darauf läuft es hinaus. Am Ende werden wir alle zu Wirten dieser Kreaturen. Das will ich nicht erleben. Auf keinen Fall.«
Schweigen. Das Rauschen des Windes.
»Aber …« Iwan wollte etwas entgegnen, doch Mandela ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Glaubt ihr im Ernst, dass der Alte die Leichen ausbuddelt, um sie zu bestatten?« Der Schwarze fletschte die Zähne. Ein weißer Halbmond auf schwarzem Grund. »Pustekuchen. Er füttert seinen feinen Sohn damit. Und um sein Gewissen zu beruhigen, stellt er auf den leeren Gräbern Kreuze auf.«
»Unsinn«, kommentierte der Oberführer, doch besonders überzeugt klang sein Widerspruch nicht.
»Lebt wohl«, sagte Mandela.
Iwan blinzelte. Der Schwarze hob die Hand und winkte ihnen. Dann drehte er sich um und ging an den Waggons entlang davon. Iwan beobachtete, wie er an der Diesellok vorbeimarschierte. Der rostige, blaurote Gigant stand reglos auf dem Gleis und wirkte ratlos, als hätte ihn die Entwicklung der Ereignisse überrascht. Vermutlich war er zum ersten Mal seit zwanzig Jahren mit Menschen konfrontiert. Dabei hatte sich nichts verändert. Die Menschen stritten. Wie immer.
»So ein Idiot«, sagte der Oberführer ratlos.
Iwan wandte sich ruckartig zu ihm um, holte aus und … zack.
Der Skinhead schlug auf dem Schotter hin. Völlig perplex hob er den Blick zu Iwan.
»Spinnst du?«
Iwan beugte sich über ihn und setzte ihm die Faust an die Brust.
»Du bist ein verdammter Faschist und außerdem ein Trottel, verstanden? Und jetzt steh auf! Wir müssen weiter.«
»Eins, zwei, hau-ruck!«, kommandierte Iwan.
Der scharfkantige Rahmen schnitt in die Finger ein. Die Draisine war noch schwerer als zuvor. Kein Wunder, nun waren sie ja auch einer weniger.
In der Ferne gellte plötzlich ein markerschütternder Schrei. Dann auf einmal
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