Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
Schüsse. Schmerzensschreie. Getrampel.
Eine Gewehrsalve. Noch eine.
Mandela!
»Abstellen!«, befahl Iwan. Mit Getöse plumpste die Draisine in den Schotter. Die Finger waren taub und schmerzten. »Schnell!«
Iwan zog sein Gewehr von der Draisine und rannte hinter dem Oberführer her.
Als sie bei der Diesellok ankamen, war bereits alles vorüber. Die Kadaver zweier Bestien lagen von Kugeln zerfetzt auf dem Schotter. Ein Gemetzel. Aus den Löchern im kurzhaarigen Fell suppte eine dunkle, wässrige Flüssigkeit, die nicht wie Blut aussah. Eher wie Schleim. Die Pfoten einer der Bestien zuckten noch.
Kurze, fast runde Schnauzen. Ein riesiger Rachenspalt, als hätte man den Kopf geöffnet wie eine Tasche mit Reißverschluss. Hunderte kleiner, bräunlicher Zähne.
Der Schwarze saß auf dem Boden, mit dem Rücken ans Räumblech der Lok gelehnt. Der rote Lack war von Rost zerfressen und blätterte ab. Mandelas Blutspritzer wirkten darauf schwarz. In der einen Hand hielt er sein Gewehr, die andere hatte er gegen seinen Bauch gepresst. Zwischen seinen Fingern quoll stoßweise Blut hervor.
Der Mensch und die Lok.
Die Krone der Schöpfung und ihr Werk. Selbst dieses rostige Eisenmonster war dem Menschen näher als jene Kreaturen, die zu Mandelas Füßen lagen.
Als der Skinhead und Iwan angelaufen kamen, sah Mandela auf. Lächelnd.
Er atmete flach, gurgelnd und zischend.
»Ich … Ich bin nicht weit gekommen, was?«
»Durchhalten, Bruder«, munterte ihn der Oberführer auf. »Wir werden dich verbinden.«
Mandela hob mühsam den Kopf und sah den Skinhead an. Das Weiße der Augen. Vom Schmerz verengte Pupillen.
»Bruder?«
»Bruder«, bestätigte der Oberführer.
»Ich bin doch ein Schwarzer. Hast du das vergessen?«
Mandela versuchte sich vorzubeugen. Der Skinhead drückte ihn sanft wieder zurück.
»Ein Schwarzer? Ach was!« Der Oberführer winkte ab. Aus seiner Tasche nahm er Mullbinde und Gummischlauch. »Du bist doch kein Schwarzer.«
»Ach?«, wunderte sich Mandela. »Was denn dann?«
»Nur gut gebräunt … verdammt. Aber sonst ein Mensch wie jeder andere. Kein Vergleich mit den Veganern.«
»So, so.« Mandela lächelte dünn. Sein Gesicht wurde leichenblass. »Du bist ein komischer Kauz, Ober. Du …« Er schluckte krampfhaft. »Du weißt auch nicht, was du willst …«
Seine Augen erloschen. Langsam sank sein Kopf auf die Brust herab.
Der Oberführer schleuderte den Verband weg und fluchte.
Iwan ging zu der halb toten Bestie und zielte mit dem Gewehr auf ihren Kopf. Ein zuckender Fleischklumpen. Ihre Augen schienen zu sagen: »Was habt ihr hier verloren? Das hier ist jetzt unser Reich.«
Iwan drückte ab. Ein Feuerblitz sprengte die Dunkelheit. Der Schuss knallte. Wie das Schlagen der Waggonräder am Stoß zweier Gleise.
Iwan sah auf.
»Gehen wir«, sagte er zum Oberführer. »Wir müssen hier weg.«
Der graue Dämon beobachtet, wie die vier Menschen sich entfernen. Auf einem eigenartigen Ding, das einen Höllenlärm macht und hin und her schaukelt. Er hätte sie leicht einholen können, wenn er denn gewollt hätte. Aber nicht jetzt. Nach dem Kampf mit dem Baummenschen fühlt er sich geschwächt.
Der graue Dämon stellt sich auf seine langen, schlanken Beine. Er schwankt.
Zeit für einen großen Ruf.
Eine halbe Stunde später passierten die Digger den Bahnhof Uniwersitetskaja . Das metallische Klopfen der Räder war ihr ständiger Begleiter. B-bang, b-bang, b-bang. Die Draisine fuhr an verlassenen Bahnsteigen und Siedlungen vorbei. An eingestürzten Häusern, die in graubrauner Vegetation versanken. An aufgegebenen Fabriken und Inseln aus verrosteten Autos.
Zerstörung überall.
Hin und wieder tauchten geflügelte Silhouetten am heller werdenden Himmel auf. Es waren höchstens noch zwei Stunden bis zur Morgendämmerung. Immer wenn die Bestien der Lüfte ihre Schreie ausstießen, lief es den Diggern kalt den Rücken herunter.
Einmal setzte einer dieser »Vögel« zum Tiefflug an. Direkt über der Draisine. Sie reagierten rechtzeitig, rollten die Böschung hinunter und gingen in Deckung. Der Oberführer legte sich auf den Rücken und richtete den Lauf seines Maschinengewehrs gen Himmel.
Die Sache ging glimpflich aus. Die hässliche Flugechse, oder was immer das für eine Kreatur war, flog in etwa fünfzig Metern Höhe über sie hinweg, schlug ein paarmal kräftig mit ihren Hautflügeln und gewann allmählich wieder an Höhe. Sie flog mit der Eleganz eines Ziegelsteins, aber sie flog.
Bald
Weitere Kostenlose Bücher