Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
Haar, grobporige Haut, blasses Gesicht. Der Moskowiter hob den Kopf und riss die Augen auf. Iwan legte die Kalaschnikow an. Klick. Keine Patronen mehr. Iwan drückte noch einmal ab, als würde es davon besser werden. Sein Finger verkrampfte sich.
Nun hob der Rotschopf seinerseits das Gewehr. Reflexartig sprang Iwan auf ihn zu und rammte ihm den Gewehrschaft ins Gesicht. Zähne splitterten. Der Moskowiter taumelte zurück und warf den Kopf in den Nacken. Ein Augenblick wie eine Ewigkeit. Der Rotschopf starrte Iwan an und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Aus seiner Nase quoll ein dicker Strahl Blut. Erstaunt blinzelte er mit den Augen. Iwan riss seinen »Bastard« herum und schlug noch einmal zu. Unter seinen Fingern das nasse Metall. Und noch ein Hieb. Nun fall schon um! Endlich sank der Rotschopf zu Boden.
Iwan blickte sich um.
Rot.
Von der dunkelroten Wand starrte Iwan das weiße Gesicht Majakowskis entgegen – riesig und gespenstisch, so als würde es aus einer dicken Schicht trockenen Bluts hervorquellen.
Die halbe Station war von Rauchschwaden verhüllt. Eine Feuerwehrsirene heulte. Und wie unglaublich hell es hier war!
Aus dem Durchgang knatterte eine Gewehrsalve herauf. Kugeln rissen Stücke der dunkelroten Mosaikkacheln aus der Wand. Eines der Geschosse schlug in die Beleuchtungsblende ein. Krachend explodierte die Lampe darunter und es wurde schlagartig dunkler.
Iwan duckte sich. In der Wolke aus Rauch und Splittern erblickte er die Silhouette eines laufenden Tigers. Er schüttelte sich. Nicht schon wieder. Nicht jetzt. Männer in Tarnanzügen liefen an ihm vorbei. Iwan erschrak kurz – und atmete durch: seine Leute.
Stechender Pulvergestank und metallischer Blutgeruch. Rauch.
ROT.
Aus dem allgegenwärtigen Qualm trat Schakilow, der sich mit schmerzverzerrter Miene an die Backe fasste. Die linke Hälfte seines Gesichts war ein einziger riesiger Bluterguss.
»Was ist denn mit dir passiert?«, erkundigte sich Iwan.
Schakilow spuckte Blut.
»Bin auf der Treppe ausgerutscht«, berichtete er. »Und voll auf die Fresse gefallen. Da ist ein bisschen was kaputtgegangen, siehst du?« Sein Mund öffnete sich zu einem schaurigen Grinsen. Zwei Schneidezähne fehlten völlig, einige andere standen spektakulär schief. Und überall Blut. »Lustig, was?«
»Na, ich weiß nicht«, erwiderte Iwan. »Was ist mit der Station?«
Statt zu antworten, griff sich Schakilow mit Daumen und Zeigefinger in den Mund und pulte mit schmerzverzerrtem Gesicht einen der lädierten Zähne heraus.
Er warf den Zahn auf den Boden und spuckte aus. Auf dem hellen Marmorboden leuchtete ein Blutfleck und daneben lag der weiße Zahn wie ein Stück Plastik.
»Gefafft«, lispelte Schakilow. »Die Majak gehört unf.«
Abermals griff er sich in den Mund und machte sich am nächsten Zahn zu schaffen.
»Und die Ploschtschad Wosstanija ?«, fragte Iwan. »Seid ihr durchgekommen?«
Schakilow schüttelte den Kopf. Er nahm die Hand aus dem Mund und spuckte erneut aus. Seine Jacke war mit Blut und mit etwas Grauem beschmutzt – vermutlich Lehm. Er mümmelte mit den Lippen, während er mit der Zunge den Sitz der übrigen Zähne prüfte. Ein urkomischer Anblick. Dann verzog er das blutverschmierte Gesicht zu einem bitteren Grinsen.
»Die Dreckskerle haben es rechtzeitig geschafft«, berichtete er. »Das sind halt auch keine Anfänger. Sie haben eine Barrikade errichtet.«
»An beiden Ausgängen?«
»Ja.« Schakilow winkte ab. »Scheiß drauf. Nimmst du deinen Gewehrschaft neuerdings zum Prügeln her?«
6 Die Chemiker
6
DIE CHEMIKER
Bestattungen sind für die Lebenden gedacht.
Iwan sah zu, wie die Leichname auf dem Bahnsteig nebeneinandergelegt wurden. Plötzlich besann er sich und nahm rasch die Mütze ab. Sein Haar klebte – er hatte es ewig nicht mehr gewaschen. Der Luftzug aus den Tunneln strich kühlend um seinen Nacken – ein ungewohntes Gefühl.
Die Männer vom Bestattungskommando trugen schwarze Mäntel und weißen Mundschutz. Einige hatten Atemschutzmasken auf. Sie sahen unheilvoll aus, wie es sich für postatomare Siechknechte gehörte. Sie hüllten jeden einzelnen Körper in Plastikfolie und verschlossen die Bündel mit Klebeband. Zuletzt breiteten sie Planen darüber. Sie verrichteten ihr Werk ohne Eile und würdevoll – fast ein wenig affektiert.
An diesem Tag stand ihnen viel Arbeit bevor. Allein an der Station wurden über dreißig Tote gezählt. Und das waren noch nicht alle.
Man erzählte sich, dass
Weitere Kostenlose Bücher