Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
dir gegeben. Meinst du das alles im Ernst?«
Iwan dachte nach. »Das Böse muss bestraft werden«, erwiderte er schließlich. »Mag sein, dass die Gerechtigkeit manchmal ein hässliches Gesicht hat – aber Strafe muss sein. Das ist meine Meinung. Die Moskowiter müssen für das, was sie getan haben, bezahlen.«
Pause.
»Mein Revolver ist schnell«, sagte Memow nachdenklich und schaute dem Digger in die Augen.
»Was soll das heißen?«, fragte Iwan scharf.
»Das ist ein Zitat aus einem amerikanischen Film«, erklärte der General. »Aus einem Western.« Memow schüttelte den Kopf. »Du hast recht, Iwan Danilytsch, wir leben jetzt in einer neuen Welt. Oder besser gesagt in einer Zwischenwelt. Im Niemandsland zwischen der alten Welt und der neuen, die vor unseren Augen entsteht. Die Eroberung Amerikas. Neuland unterm Pflug. Eine junge Bande, die uns vom Antlitz der Erde hinwegfegt. Die Metro ist zur Frontier geworden.«
»Das verstehe ich nicht.«
Memow sprach einfach weiter, als hätte er Iwans Einwurf nicht gehört.
»Dass ich da nicht schon früher draufgekommen bin …« Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Die Frontier. Der Grenzbereich. Der Ort, an dem der Revolver regiert. Dann ist also alles ganz einfach. Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, Iwan Danilytsch. Sie können jetzt gehen, Sergeant!«
Iwan nickte energisch und ging zur Tür. An der Schwelle zögerte er abermals. Jetzt lass es doch endlich gut sein!, dachte er und ärgerte sich über sich selbst. Dennoch drehte er sich noch einmal um.
Der General saß an seinem Schreibtisch und hatte sich in Papiere vertieft.
»Hast du was vergessen?«, erkundigte sich Memow und sah auf.
»Nicht der Revolver«, sagte Iwan.
»Was?«
»Sie irren sich, General. An diesem Ort regiert nicht der Revolver.« Iwan wartete, bevor er weitersprach. Kapierte der Typ das etwa nicht? »An diesem Ort regiert der Mut.«
Memow richtete sich auf und musterte Iwan.
»Ich werde an deine Worte denken, Sergeant.«
Der Vormarsch zur Station begann gegen Morgen, als die Moskowiter noch friedlich schlummerten. Die »Stunde des Stiers« nannte Professor Wodjanik diese letzte Phase der Nacht. »Die Zeit, in der sich das Vieh niederlegt.« Die Stunde derMonter, in der die bösen Mächte noch stärker sind als sonst.
Im Tunnel lag der dichte Nebel von Rauchgranaten. Die Digger-Trupps von Schakilow und Sonis tasteten sich ohne Beleuchtung voran. Sonis war ein klein gewachsener, sarkastischer Jude, der mit der Handkante einen Menschen töten und den Übrigen mit seinem Mundwerk den letzten Nerv rauben konnte. Na gut, das war vielleicht ein wenig übertrieben, entsprach aber doch fast der Wahrheit.
Iwans Männer hatte man in die Sturmabteilung beordert. Ihr Eingreifen war für den Fall geplant, dass es den Voraustrupps nicht gelingen sollte, die Posten lautlos auszuschalten und so der Hauptstreitmacht der Allianz den Weg zu bahnen.
Wir schleichen durch die Finsternis wie die Zombel, dachte Iwan. Bei dem Gedanken überkam ihn eine leichte Gänsehaut.
Sein kleiner Trupp war mit zwei Granaten pro Mann ausgestattet, also insgesamt zehn, plus eine Reservegranate für Iwan. Für Operationen auf engstem Raum wären vier Mann eigentlich optimal gewesen, doch Iwan konnte sich das nicht aussuchen. Den Beobachter der Admiralzen hatte man ihm aufgedrängt.
Der Digger kontrollierte nochmals seine Ausrüstung. Das Metallgehäuse der Granate fühlte sich kalt an. Eine Schockgranate ausOMON-Beständen. Sprenggranaten waren schwer zu beschaffen in der Stadt. Zusätzlich hatte man Iwan eine Leuchtpistole mit zehn Patronen ausgehändigt. Das war der Plan: Den Feind mit Granaten und Raketen eindecken, ihn betäuben und blenden, in Panik versetzen. Und dann die Station im Sturm erobern. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Iwan spähte so angestrengt in die Dunkelheit, dass seine Augen schmerzten. Kein Lichtschimmer – nirgends. Die Zeit verging langsam.
Der Kämpfer neben ihm trat nervös von einem Bein auf das andere. Es war Koljan von der Admiraltejskaja – der Fanatiker. So nannte man ihn wegen seiner glühenden Leidenschaft für asiatische Kampfsportarten. Er konnte es kaum erwarten, sich in die Schlacht zu stürzen.
Heute wird sich alles entscheiden, dachte Iwan. Der Rauch im Tunnel bildete einen dichten Schleier, durch den die Verteidiger der Station die Angreifer nicht erkennen konnten. Hoffentlich. In Iwans Magen breitete sich eine saugende Leere aus, als würde er in eine
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