Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
Autoreifen anzünden. Dann stellen wir einen anständigen Ventilator auf, verlegen ein Stromkabel zur Gostinka und blasen denen ein bisschen Gummiqualm in den Hintern.«
»Die haben doch Gasmasken«, entgegnete Iwan, der immer noch nicht verstand, worauf Sasonow hinauswollte.
»Wie? Etwa alle?«
Iwan sah seinen Freund beinahe ehrfürchtig an. Natürlich nicht alle! Die hatten bestenfalls zwanzig Gasmasken für zweihundert Leute. Frauen, Kinder …
Endlich kapierte er.
Ausräuchern. Meine Fresse.
»Einen so niederträchtigen Plan hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
»Ich diene nur der Primorski-Allianz!« Sasonow verzog das Gesicht. »Tut mir leid, Wanja. Ich bin wohl einfach übermüdet.«
Iwan nickte. Übermüdet waren sie alle.
»Weißt du was, mein Freund?«, sagte er. »Lass uns noch mal in Ruhe darüber nachdenken.« Er hörte Schritte und wandte sich um. »Jegor, hast du sie mitgebracht?«
Gladyschew stellte einen Korb auf den Boden. Darin lagen alte Tennisbälle. Früher waren sie einmal gelb gewesen, doch der Zahn der Zeit und eine Unzahl schwitziger Hände hatten sie grau werden lassen. Der Digger nickte. Sein plattes Gesicht war von tiefen Canyons zerfurcht und wirkte völlig emotionslos – bestenfalls gelangweilt.
»Ja.«
»Danke«, sagte Iwan und stand auf. »Dann wollen wir mal. Aufstellung, Jungs.«
»Schon wieder?«, nölte Pascha, während er sich widerwillig erhob.
»Was heißt hier schon wieder? Endlich wieder. Auf geht’s! Solocha, brauchst du eine Extra-Einladung? Solocha!«
»Ich komme ja schon«, erwiderte der Angesprochene und legte sein Buch weg.
Solocha, ein groß gewachsener, etwas ungelenker Typ mit dunkelblondem Haarschopf, las halb im Liegen, mit dem Rücken an seinen Rucksack gelehnt. Seine kleine, randlose Brille saß stets ganz vorn auf der Nasenspitze. Er nutzte jede freie Minute zum Lesen. Eigentümlicherweise bevorzugte er Bücher mit schwer verdaulichen Titeln wie: »Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens«. Iwan selbst wäre nicht im Traum eingefallen, so etwas zu lesen. Ein einziges Mal hatte er es versucht, war jedoch über die ersten paar Seiten nicht hinausgekommen.
Obwohl man nicht sagen kann, dass er generell nicht gerne las.
Es war nur …
Der Sinn des Lebens, der ihm aus diesen Seiten entgegenblickte, hatte ihn ein wenig überfordert.
Solocha dagegen fand offenbar Gefallen daran.
»Fertig?« Iwan blickte von einem Digger zum anderen. Natürlich wäre es besser gewesen, das Training etwas abseits vom Trubel der Station durchzuführen, doch unter den derzeitigen Bedingungen hatten sie keine große Wahl. Außerdem konnte es nicht schaden, wenn die Jungs lernten, sich auch unter schwierigen Bedingungen zu konzentrieren. »Los geht’s! Im Kreis aufstellen!«
Zuerst übten sie mit einem Ball. Iwan warf ihn sanft zu Pascha, und während er durch die Luft flog, sagte er »I«. Pascha fing ihn auf, warf ihn zu Gladyschew weiter und sagte »Iw«. Der Nächste musste »Iwa« sagen und so weiter, bis der Name »Iwan« vollständig war. Dann kam der nächste Name an die Reihe. Und anschließend alle Namen noch einmal umgekehrt, mit dem letzten Buchstaben zuerst. Dann kam ein zweiter Ball ins Spiel. Und ein dritter. Die Übung hatte ihnen Kossolapy beigebracht. Sie schärfte Konzentration, Koordination und das Gefühl für den Partner. Kossolapy hatte sich eine Menge solcher Übungen ausgedacht. Zum Beispiel den »Spiegel«. Dabei standen zwei Digger einander gegenüber und einer vollführte Bewegungen, die der andere spiegelbildlich wiederholen musste. Tuchfühlung halten, blindes Verständnis mit dem Partner – das gehörte zu den wichtigsten Fähigkeiten eines Diggers.
»Zuerst Blickkontakt herstellen«, dozierte Iwan wie gewohnt. »Und dann werfen. Aber sanft. Mit Gefühl. Immer mit Rücksicht auf den Partner.«
Die Tennisbälle flogen von einem Digger zum nächsten. Mit einem Ohr hörte Iwan die Stimmen und das Gelächter der Umstehenden. Inzwischen hatte sich ein regelrechter Pulk von Menschen versammelt, um das Training der Digger zu beobachten. Es gibt sicher Spannenderes als das, doch im Krieg ist man für jede Abwechslung dankbar.
An diesem Tag wollte es mit dem Training nicht so recht klappen.
»Wadim!«, donnerte Iwan, als Sasonow zum x-ten Mal den Ball fallen ließ. »Was ist denn heute los mit dir? Schläfst du, oder was? Konzentrier dich gefälligst.«
Kurz darauf wäre ihm beinahe selbst ein Ball aus der Hand gefallen. Er flog
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