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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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die Bestatter in einem alten Lüftungsschacht an der Station Prospekt Slawy ein gigantisches Leichen-Krematorium errichtet hatten, mit Luftzufuhr von der Oberfläche und natürlich mit einem Rauchabzug. Das Rohr maß stolze fünfzig Meter. Der Ofen entwickelte einen solchen Zug, dass man das Brüllen der Flammen noch zwei Stationen weiter hörte, behauptete Onkel Jewpat.
    Ein richtiges Krematorium war es trotzdem nicht, da die Knochen nicht verbrannten. Dazu hätte es viel höherer Temperaturen bedurft.
    Deshalb stapelten die Bestattungstrupps die verkohlten Gerippe in einem toten Tunnel hinter der Station. Inzwischen waren es Tausende. Eine ganze Stadt aus Skeletten.
    Jetzt kamen noch einmal gut dreißig dazu.
    »Lasst uns den Toten die letzte Ehre erweisen«, sagte der Chefbestatter trocken, als alle Leichname vorbereitet waren. »Eine Schweigeminute für die Gefallenen.«
    Iwan senkte den Kopf. Stille legte sich über die Station und verschluckte ein paar letzte Geräuschherde.
    Die Männer von den Stationen Wassileostrowskaja , Admiraltejskaja , Newski prospekt , Gostiny dwor und einige Söldner – alle standen und schwiegen. Das ist es, was die Menschen wirklich verbindet, dachte Iwan. Der Tod.
    Ich will nach Hause.
    Iwan stand reglos und spürte den kühlen Wind im Nacken.
    Ich. Will. Nach. Hause.
    »Die Minute ist vorbei«, verkündete der Chefbestatter. »Der Augenblick des Abschieds ist gekommen.«
    Iwan setzte seine Mütze wieder auf und beobachtete, wie der Leichenzug im Tunnel verschwand. Dann ging er zu seinen Leuten.
    Hunger hätte er schon gehabt, aber keinen Appetit.
    Aus dem Edelstahlbecher mit den dicken Wänden stieg Dampf auf. Iwan sog ihn begierig ein – er war feucht und heiß. Dann führte er den Becher zum Mund und trank vorsichtig ab, um sich nicht zu verbrühen. Nur mit gutem Willen ließ sich aus dem heißen Wasser ein Schuss Süße herausschmecken. Der Becher selbst war nicht heiß, denn er verfügte über eine Doppelwand mit Vakuum dazwischen – Hightech aus den Zeiten vor der Katastrophe. Vor langer Zeit, als Kossolapy noch lebte, hatte Iwan den Becher in einem alten Supermarkt gefunden, zusammen mit etlichen anderen nützlichen Dingen: einem Klappbeil zum Beispiel und einer Thermoskanne in Tarnfarbe.
    Zu den Fundstücken gehörte damals auch ein riesiger Globus aus gelbem Naturstein. Nachdenklich war Iwan mit dem Finger über das Relief der Erde gefahren und hatte die Namen von Städten gelesen, die es nicht mehr gab: New York, Mexiko City, Buenos Aires, Santiago de Chile, Twer, Bologoje, Nischni Nowgorod, Moskau. Ein Geschäft für Globetrotter, hatte Kossolapy gesagt. Besser gesagt, für Leute, die sich gerne als Globetrotter fühlen, während sie zu Hause sitzen.
    Tja, Moskau …
    Die Moskauer schienen es nicht eilig zu haben, ihren Genossen an der Majakowskaja zu Hilfe zu eilen. Das wäre ja auch noch schöner, dachte Iwan.
    Seit der Eroberung der Majakowskaja waren fünf Tage vergangen. Alle weiteren Vorstöße der Allianz hatten die Moskowiter zurückgeschlagen und sogar einen Gegenangriff versucht. Was hatten sie beim letzten Mal herübergebrüllt? »Zar Achmet fordert euch auf zu kapitulieren. Dann werdet ihr begnadigt.« Aha. Sonst noch Wünsche?
    In Wahrheit herrschte eine Patt-Situation. Und nun war auch noch der Tee ausgegangen. Großartig.
    Iwan trank noch einen Schluck und stellte den Becher auf den Boden. Man hatte seinen Trupp zum Newski prospekt verlegt, damit sie sich ausruhten. Iwan tauchte einen Hartkeks in den Becher, biss das getränkte Stück ab und begann zu kauen.
    Ein Becher heißes Wasser, ein Stück Zucker und ein paar steinharte Kekse – die kulinarischen Freuden des Soldatenlebens.
    Einige hatten nicht einmal mehr das. Das Bild der auf dem Bahnsteig aufgereihten Toten ging Iwan nicht mehr aus dem Kopf.
    »Ich habe eine Idee«, sagte Sasonow.
    Iwan schluckte das halb zerkaute Stück Keks hinunter und drehte sich zu seinem Freund um. »Was für eine Idee denn?« Er verstand nicht sofort, wovon Sasonow überhaupt sprach. Seine Gedanken kreisten immer noch um die Bestattungszeremonie. Die in Plastikfolie gewickelten Körper. Die Schweigeminute. Die Gläser mit dem Fusel, jedes mit einem Hartkeks abgedeckt. Er wollte sich an der Stirn kratzen, doch in seiner Rechten hielt er den angebissenen Keks. Er kratzte sich mit der Linken. »Ach, du meinst wegen der Wosstanija ?«
    »Ein Gasangriff«, sagte Sasonow.
    »Und wie?«
    »Wir könnten zum Beispiel alte

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