Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
resigniert.
»Sie haben eine friedliche Station angegriffen! Wie konnten Sie so etwas tun?«
»Jaja«, erwiderte Iwan gedehnt und winkte ab. »Aber dass sie unseren einzigen Generator geklaut haben, ist völlig in Ordnung. Verstehe. So was kann schließlich jedem passieren.«
»Das ist überhaupt nicht bewiesen!«
Natürlich nicht, dachte Iwan. Das wird erst bewiesen, wenn die Bewohner der Wassileostrowskaja verreckt sind. In der Zwischenzeit sollen sie sich doch in der Dunkelheit amüsieren, das sind sie ohnehin gewohnt. Was soll’s. Dieser Pseudofunktionär mit seinen Hamsterbacken begreift das sowieso nicht.
»Sie gehen mir auf die Nerven«, sagte Iwan ehrlich. »Verdammte Wahrheitsfanatiker. Aber von Tuten und Blasen keine Ahnung.«
»Sie verstehen das nicht!«
Iwan hörte gar nicht mehr zu. Stattdessen winkte er den jungen Milizionär zu sich. »Kusnezow!«
Der kam sofort angetrabt. Hurtig wie ein Pawlowscher Hund mit Frühlingsgefühlen. Fehlte nur noch, dass er mit dem Schwanz wedelte.
»Zu Befehl!«
Kusnezow stand stramm und seine Augen strahlten. Ob er diesen Übereifer wohl jemals ablegen würde? Iwan schüttelte den Kopf. Er fragte sich, ob er selbst auch so ein enthusiastischer Grünschnabel gewesen war, bereit, für ein anerkennendes Lächeln von Kossolapy durchs Feuer zu gehen? Nein, war er nicht. Als er zur Wassileostrowskaja kam, hatte er bereits jeglichen Enthusiasmus verloren. Kossolapy war ihm ein Freund und ein erfahrener Kollege gewesen, aber kein Idol.
»Folgender Befehl«, sagte Iwan. »Du führst diesen Zivilisten hier weg.«
»Verstanden! Und … äh … wohin?«
Kusnezow nestelte am Tragriemen seines Gewehrs und blickte unsicher umher.
Der Funktionär machte ein argwöhnisches Gesicht. Offenbar hatte er ein gutes Gespür für Gefahr. Wie ein geprügelter Hund für den Stock seines Herrn.
»Nicht weit.« Iwan warf einen hämischen Seitenblick auf den Dicken. »Du bringst ihn in den Tunnel. Hinter dem Kontrollposten gibt es eine Entwässerungsstation. Die ist zwar außer Betrieb, aber das macht nichts.«
»Was … was haben Sie …« Der Zivilist gluckste, als bekäme er keine Luft mehr.
»In die Entwässerungsstation«, wiederholte Kusnezow dienstfertig und seine Augen erstrahlten in naivem Glanz. Kindskopf, verdammt. »Verstanden. Und was weiter?«
»Dort erschießt du ihn«, sagte Iwan lapidar. »Dann kommst du zurück und erstattest Bericht. Abmarsch.«
Unbemerkt von dem Zivilisten zwinkerte Iwan Kusnezow zu. Hatte er verstanden? Dieser besann sich kurz, dann zwinkerte er zurück.
»Zu Befehl!«
Der Zivilist traute seinen Ohren nicht. Sein entsetzter Blick wanderte von Iwan zu Kusnezow und wieder zurück.
»Ist das … Ihr Ernst? Ich …«
»Selbstverständlich«, bestätigte Iwan. »So können Sie mal sehen, was Willkür im Krieg bedeutet. Willkür in ihrer reinsten Form.«
»Aber ich …! Ich bin vom Friedensrat!«
»Dann wollen wir mal, Herr Friedensrat«, sagte Kusnezow und nahm geschäftig das Gewehr von der Schulter.
Als sie gingen, trottete der Dicke so gefügig vor Kusnezow her, als hätte er sein ganzes Zivilistenleben auf nichts anderes gewartet.
Iwan setzte die Rasur fort und seine Laune besserte sich spürbar.
»Lass uns singen, Kampfgenosse …«, stimmte er leise an. Es war wieder dieses Lied aus dem Film »Zwei Kämpfer«. »… zum Ruhme Leningrads.«
Er schaute in den Spiegel und drehte den Kopf, um sich die zweite Hälfte seines Gesichts vorzunehmen.
Plötzlich durchfuhr es Iwan: Und wenn doch?
Verflucht. Er warf das Rasiermesser in den Kessel und rannte los. Im Vorbeilaufen drückte er Solocha den Kessel in die Hand. Der Digger sah seinem Kommandeur völlig verdattert hinterher. Iwans halb rasierte Visage sorgte für einige Verwunderung auf dem Bahnsteig und veranlasste die Leute, ihm zügig den Weg freizumachen. Er sprang aufs Gleis hinab, stolperte, fing sich und sprintete in den Tunnel. Das Stampfen seiner Stiefel hallte bedrohlich durch die Röhre.
Hoffentlich kam er nicht zu spät.
»Kommando zurück!«, brüllte er, als er in den Raum der Entwässerungsstation stürmte.
Kusnezow blinzelte verwirrt und ließ das Gewehr sinken. Wollte der tatsächlich schießen?
»Mischa!« Er stützte sich mit den Händen auf die Knie und rang um Atem. »Na, du machst mir Spaß …« Er richtete sich wieder auf. »Ich habe das doch nicht ernst gemeint! Ich dachte, du bringst ihn bis zum Kontrollposten und lässt ihn dann laufen.«
Kusnezow
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