Pizza Letale: Palinskis elfter Fall
der Stand nach einer knappen Stunde gewesen. Die mehr von Gemeinsamkeiten als von Trennendem geprägte Stimmung hatte tatsächlich begonnen, ein wenig einschläfernd zu wirken, als plötzlich, aber nicht ganz unerwartet, Nora mit einigen ihrer Anhänger den Saal betrat.
Schlagartig hatte sich Nervosität unter den Diskussionsteilnehmern am Podium ausgebreitet. Das Auditorium dagegen wachte auf und harrte erwartungsvoll der Dinge, die jetzt folgen würden. Und die wenigen erschienenen Medienvertreter machten sich bereit, nur um ja nichts zu versäumen.
Denn die vor einigen Wochen vom ›PGÖ (Patriotisches Gewissen Österreich) – Die wahren Freien‹, einer Abspaltung der FDÖ, vorgestellte Quereinsteigerin ließ einen hohen Unterhaltungswert für den weiteren Abend erwarten. Nora, der ›Eiserne Besen‹, wie sie sich selbst nannte, war jederzeit gut für einen veritablen Skandal.
Die inzwischen 48-jährige ehemalige Studienabbrecherin der Richtungen Volkswirtschaft, Biologie und Archäologie hatte sich bis zu ihrem 40. Lebensjahr mit diversen Jobs als Komparsin, Kameraassistentin, Schönheitstänzerin und freie Journalistin über Wasser gehalten.
Dann plötzlich war sie vom Fernsehen entdeckt und als ›strenge Herrin‹, das war eine kleine Sprechrolle in einer Sexklamotte, besetzt worden. Nora hatte es verstanden, diese Chance optimal zu nutzen und sich mit ihrer provokanten Darstellung der Puffmutter in ›Bumsfidel in Buxtehude‹ ins Rampenlicht des Massengeschmacks zu spielen.
Heute kannte keiner mehr das Machwerk, aber jeder im deutschen Sprachraum hatte längst von Nora Lefleur, wie ihr Künstlername gelautet hatte, gehört.
In der Folge hatte die wortgewaltige Frau ihren Ruhm genutzt und eine Sadomasoshow bei einem deutschen Privatsender moderiert. Dabei hatte die Mutter einer bereits erwachsenen Tochter den Produktionsassistenten Siegfried Michael Bender kennengelernt und sich in den gleichaltrigen Mann verliebt. Keine drei Monate später wurde geheiratet und die ›Schmuddellady‹ folgte ihrem ›Schatzibutzi‹ von Düsseldorf nach Wien. Hier begann sie mit Lebenshilfeberatungen, hielt Seminare ab und wirkte in Werbespots und Fernsehfilmen mit.
Weltanschaulich hatte sich die ehemalige Kryptokommunistin mit den Jahren unaufhaltsam vom linkslinken Rand des politischen Spektrums nach rechts entwickelt. Und dabei den breiten Bereich von Mitte links bis Mitte rechts einfach übersprungen.
Eines Tages war sie kurzerhand rechtsradikal aufgewacht und hatte durch ihre Statements auch dafür gesorgt, dass daran kein Zweifel aufkommen konnte.
Mit dieser Positionierung und ihrem Bekanntheitsgrad war Nora Bender-Nicerec ein Glücksfall für das PGÖ. Der einzige Wermutstropfen war, dass die beantragte Namensänderung von Nicerec auf Niederle aus bürokratischer Willkür nicht mehr rechtzeitig vor den Wahlen durchging.
Da war sie nun, Nora, ›der Eiserne Besen, der gut kehrt‹, wie ein begnadeter Texter formuliert hatte, und nur zu gern bereit, der dahinsiechenden Diskussion neues Leben einzuhauchen.
In Wilma krampfte sich noch jetzt alles zusammen, wenn sie sich an die nun folgende Stunde erinnerte. Die angenehme, sachorientierte Atmosphäre, die bisher geherrscht hatte, war mit einem Schlag weg gewesen. Plötzlich waren die Diskussionsteilnehmer nur mehr ängstlich bemüht, ihre offiziellen und daher ohnehin bekannten Positionen zu wiederholen. Nur bloß nichts Neues aussprechen und den ›Gegnern‹, von denen es plötzlich nur so wimmelte, keine Angriffsfläche liefern. Ja, auch Wilma hatte sich in dieser Situation in eine befristete Stimmbandlähmung geflüchtet, worauf sie im Nachhinein gar nicht stolz war.
Im Gegensatz dazu hatte der ›Eiserne Besen‹ das Gesetz des Handelns an sich gerissen und die Veranstaltung in eine Bühne für ihre wahlkämpferische Selbstdarstellung umfunktioniert.
Dieses Weib war wie …, wie eine … Autobombe, fand Wilma und genierte sich im selben Moment für den bösen Vergleich. Eigentlich hatte sie ja, Gott sei Dank, nicht die geringste Erfahrung mit Autobomben. Aber so vernichtend, ihre Umgebung verschlingend wie ein Explosivkörper kam ihr diese Nora vor. Man konnte sie vielleicht auch mit einem Tsunami vergleichen, schade, dass ihr dieses Bild nicht schon früher eingefallen war.
Gestern Abend hatte Wilma erstmals kurz bereut, in die Politik gegangen zu sein. Für derart brutale, ordinäre Auseinandersetzungen war sie nicht geschaffen. Innerlich hatte sie
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