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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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bewegte sich auch der Lichtpunkt, wie der Nachglanz eines Kamerablitzes.
    Hinter ihr lachte jemand tief und rau. Joyce kroch auf Händen und Knien vorwärts, weg von der Stimme. Und mit einem Mal umschlossen ihre Finger weiche Erde.
    Sie musste irgendwie hinausgelangt sein.
    Als sich der Nachglanz aufblähte, verklang das Gelächter in der Ferne wie grollender Donner. Die Welt rückte Stück für Stück wieder in den Fokus.
    Die Sonne brannte hell am Himmel. Joyces Sinne füllten sich mit abertausenden Klängen und Gerüchen. Das war nicht ihre Welt. Sie ließ den Blick unkoordiniert über das Laub der vielen Bäume vor ihr schweifen. Übergroße Farnwedel in Hellgrün mit braunen, zerfaserten Rändern ... Sie befand sich auf einer Lichtung, die auf allen Seiten von demselben überdimensionalen Laubwerk begrenzt wurde. Der durchdringende Geruch nach Erde und grünen Blättern, die von der Sonne erhitzt wurden, war berauschender, älter als der frisch gemähte Rasen, der vor wenigen Momenten noch durch das Fenster der Watts’ hereingeweht worden war. Die Luft war feucht, mit einem Geruch nach Leben und Verfall. Vogelgesang ertönte; Gekrächze drang aus allen Richtungen zu ihr, schwoll an und ab, als stünden die Tiere im Wettbewerb miteinander. Schreie waren zu hören, die fast menschlich anmuteten. Das stete Summen von Insekten dröhnte viel zu nah an ihren Ohren.
    Das Wort Dschungel beschrieb diesen Ort wohl am treffendsten.
    »Ich habe Hunger.« Das war die Stimme eines Kindes, kaum vernehmbar über der anhaltenden Geräuschkulisse aus Geschnatter und Gekreisch.
    Noch immer wie ein verängstigtes Tier zusammengekauert drehte sich Joyce zu dem Verursacher um. Die flüchtige Hoffnung, sie würde Gem erspähen, wurde beim Anblick eines anderen Mädchens, das am Saum des überwachsenen Pfades stand, zerschlagen. Es hob die Hand, um sich über das verfilzte Haar zu streichen. Das Mädchen konnte nicht älter als sechs, vielleicht sieben Jahre alt sein, ihre tiefschwarze Haut war am Hals und auf der bloßen Brust mit fahlen Flecken gesprenkelt. Um die Taille trug sie einen Rock, der an den Rändern ebenso ausgefranst war wie das Laub dieses Waldes. Ein einzelnes Blatt, das unbemerkt blieb oder einfach ignoriert wurde, steckte in ihrem Nest aus wilden Locken, aus denen ihr ungekämmter Schopf bestand.
    Wo bin ich?, fragte Joyce. Gott, was ist das? Schlafe ich?
    Das kleine Mädchen streckte die Hände nach ihr aus. »Hilf mir«, flehte es. Obwohl es Englisch sprach, war seinen Worten ein seltsamer Akzent beigemischt.
    Joyce wagte es nicht, sich zu rühren. Wenn sie es täte, wäre sie für immer in dieser Illusion gefangen. Das musste es sein – eine Halluzination, die von etwas völlig Logischem bewirkt wurde. Sie verstand es momentan nur nicht. Noch nicht. Über eine Sache war sich Joyce jedoch im Klaren, obwohl die Gründe für ihre Gewissheit noch im Argen lagen. Sie schlief nicht.
    Das Gelächter erklang wieder, nicht länger hinter ihr, sondern von Baum zu Baum springend, aber es blieb immer außer Sicht. »Du warst schon immer eine Gescheite, Reverend Lindu. Zumindest hättest du es gern so.«
    Joyce suchte das Gezweig und anschließend das hohe Gras der Lichtung mit den Augen ab. Wer bist du? Wo bin ... aber sie gab auf, es war zu verwirrend ohne Stimme zu sprechen.
    Ein lautes Aufjaulen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das Mädchen zurück. Es war verschwunden. Ihr Rock blitzte noch einmal zwischen den Schatten des Waldes auf, und dann war nichts mehr. Die großen Blätter wiegten sich noch kurz und wurden dann wieder ruhig in der Hitze.
    Joyce lief auf diesen Punkt zu, bevor sie auch nur die bewusste Entscheidung hatte fällen können. Die Priesterstola schwang auf ihren Schultern und scheuerte ihr den Nacken auf. Joyce drang tiefer in den Wald ein und stieß sowohl Farnwedel als auch die dichten Zweige eines Busches beiseite, der – einmal abgesehen von den länglichen, spitz zulaufenden Blättern – an Berglorbeer erinnerte. Vor ihr schlängelte sich ein provisorischer Pfad, der sich so rasch wieder schloss, wie er entweder von dem Mädchen oder demjenigen, der es mitgenommen hatte, geschlagen worden war.
    Ich komme, rief Joyce. Wo bist du?
    Der Boden unter ihren Schuhen bot sich abwechselnd schwammig und moosbedeckt sowie als aus Laubschichten festgestampfte Erde dar. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, da jeder Schritt einen blendenden Strahl Sonnenlicht, der sich durch das Blätterdach und die

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