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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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Lächeln verschwand nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch dieser Vorgang trieb eine Wolke vor ihr Sonnenlicht. Der Augenblick verging, und die Sonne kam wieder zum Vorschein. »Wann wirst du es tun? Wann ...«
    Ein weiteres Wischen von der Handfläche des Künstlers. Aber anstelle verschmierter Farben wurden sie alle in Schwarz getüncht. Wischen, wischen, Schwärze und noch mehr Schwärze, immer und immer wieder. Seyha wurde unter Schichten aus Finsternis begraben.
    Warte!, rief er. Was war das? Was ...
    Die übernatürliche Augenbinde kroch über sein Gesicht, als wären es Tausende von Insekten. Er war abermals verloren, stand der Welt, der Vergangenheit und Gegenwart blind gegenüber. Etwas packte ihn an der Brust, heiße Hände, die ihn verbrannten. Bill schrie tonlos.
    »Du bist schon eine lange Zeit blind, William Watts«, zischte die andere Stimme wütend und immer noch sehr nah. »Und jetzt werde ich dein Herz herausreißen ...«
    * * *
    Sobald Reverend Joyce Lindu begriff, dass sie nicht erblindet war, sondern dass jenes Etwas – so wenig greifbar es war – ihr Gesicht bedeckte; die einzige Alternative bestand darin, dass sie ihren Verstand verloren haben musste. Die geisterhafte Augenbinde fühlte sich an, als besäße sie Substanz, doch die Maske blieb nichts als Dunst unter ihren Fingerspitzen. Einige entsetzliche Sekunden lang hörte sie die anderen brüllen und über dasselbe Elend wehklagen, das sie heimsuchte. Ihre Worte boten Joyce eine makabre Hoffnung, vielleicht war sie doch nicht übergeschnappt.
    Vielleicht waren sie tot. Sie alle. Als die Finsternis in ihre Ohren sickerte und jegliches Geräusch aussperrte, schrieb sie diesen Effekt dem letzten Aufflackern ihres sterbenden Gehirns zu, das ins Nichts verging. Sie wartete auf das Licht, auf die Wärme von der Hand des Herrn.
    Nichts geschah. Stille, Finsternis. Sie war taub, blind – tot.
    Joyce schauderte, und diese winzige körperliche Betätigung entließ sie aus der selbst auferlegten Starre. Sie konnte sich bewegen, fühlte noch immer die Berührung ihrer Finger auf Gesicht und Armen, bemerkte das Schaukeln der Zeremonienstola auf ihrer Brust. Sie scharrte mit den Füßen und spürte Teppichflusen unter ihren Schuhen. Trotzdem wagte sie nicht, nach unten zu greifen, denn es wäre zu sehr einem Fall gleichgekommen, als ergäbe sie sich diesem seltsamen Halbtod.
    Keine Erfahrung in ihrem Leben vermochte das zu benennen, was hier passierte.
    Nein, das stimmte nicht ganz. Dieses Vorkommnis war vertraut. Blindheit, die man fühlen konnte – eine von Gottes Heimsuchungen. Angst drohte, sie mit rasenden und immer höher schlagenden Wellen zu ersticken. Letztlich war sie doch verrückt geworden. Sie hatte bloß gedacht, sie würde die anderen rufen hören.
    Allerdings war da noch eine andere Stimme gewesen; eine, die alle gehört hatten, bevor das Licht erloschen war. Jene Stimme hatte nicht wesentlich greifbarer als die Gaze über ihrem Gesicht geklungen, aber sie besaß eine Beschaffenheit, die nicht anders als fremdartig, als nicht von dieser Welt zu beschreiben war. Dämonisch . Dieser bestimmte Begriff war ihr während der Zeremonie in den Sinn gekommen und wurde von dem dringenden Bedürfnis begleitet, die Segnung zu Ende zu bringen, damit die ominöse Macht, die in das Haus eingedrungen war, zurückgetrieben werden konnte. Indes schien die Segnung den Prozess beschleunigt und sie in völlige Finsternis geschleudert zu haben.
    Bill? Seyha?, fragte Joyce. Sie konnte überhaupt nichts hören, lediglich das Konzept des Sprechens selbst, ohne irgendwelche Geräusche, nahm sie wahr. Sie war taub, von innen und außen.
    Sie sollte anfangen zu beten und um Führung bitten. Alles war so schnell geschehen, dass sie ... es spielte jetzt keine Rolle mehr. Widerstrebend ließ sie sich nieder, beugte die Knie, bis sie die tröstliche Vertrautheit des Teppichs durch ihren Rock spürte. Jesus, hilf mir. Ich verstehe nicht, was hier vorgeht; ob es dein Werk ist oder nicht. Bitte lass mich wieder sehen, lass mich die anderen hören, lass mich ihnen helfen. Erlöse uns aus diesem Albtraum.
    Waren die anderen genauso verloren wie sie? Wurde die ganze Welt von Finsternis verhüllt? Dieser Gedanke war zu entsetzlich, um ihn in Erwägung zu ziehen.
    Beschütze alle – beschütze Gem. Sie ist zu jung, um so etwas durchmachen zu müssen. Bitte, gib mir einen Fingerzeig, hilf mir zu erkennen ...
    Ein sanfter Schimmer tanzte vor ihr. Als sie den Kopf drehte,

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