Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
schien blind für alles, außer der Frau, die ihn belogen und betrogen hatte.
Joyce rannte an Seyha vorbei, ergriff Bills Arm und zog ihn weiter von der schwarzen Flut weg, die bereits aus der Küche strömte und sich mit jener aus dem Flur vermengte. Seyha begriff, dass es Gem sein musste, die an ihr zerrte, und schwang den Arm herum.
Gem sah den Schlag kommen und duckte sich. Dabei stolperte sie über den umgekippten Esszimmerstuhl. Das Haus zitterte, als wäre Gott dabei, das Gebäude zwischen den Händen zu zerquetschen.
Als sich Gem herumrollte, stand Seyha bereits über ihr und brüllte: »Rühr mich nicht an!« Die Frau schien letztlich übergeschnappt zu sein. Gem hatte gerade noch Zeit, sich zu fragen, was sie getan haben mochte, um ihren Mann derart zum Ausrasten zu bringen, als die Küchenwand in sich zusammenstürzte. Große, scharfkantige Brocken fielen davon ab und verschwanden im Nu, wurden von dem schwarzen Strom verschlungen, der sich mittlerweile vollends aus seinem Gefängnis befreit hatte. Wie Magma floss er auf sie zu.
Joyce schleifte Bill an ihnen vorbei in die Mitte des Wohnzimmers, wo er fast an derselben Stelle, an der er sich befunden hatte, als sie alle vor wenigen Minuten zurückgekehrt waren, zusammenbrach. Gem rappelte sich auf die Beine und hob die Arme, um das Gleichgewicht zu halten, als sich der Boden krampfartig unter ihr krümmte.
Mrs. Watts rannte an ihr vorbei und ließ sich vor ihren Mann fallen. Bill brüllte etwas, das Gem nicht verstand. Das Flehen seiner Frau wurde von dem Getöse des einstürzenden Hauses hinfortgerissen. Die hohe Decke über dem Esszimmertisch ächzte und wölbte sich zu einer Seite, bauschte sich wie ein Ballon kurz vor dem Platzen. Gem riss die Arme seitlich an den Kopf, um nicht ...
»Gem!« Joyces Stimme. Gott sei Dank.
»Lassen Sie mich nicht allein!«, rief Gem und wirbelte in einem Halbkreis herum, bis sie die neben ihr um Halt kämpfende Frau fand.
Jedes Fenster zerbarst mit einem Laut, der wie Millionen schreiender Menschen klang. Schwärze quoll ungehindert von draußen herein, ergoss sich über die Wände und den Boden.
Die Decke über dem Esszimmertisch explodierte und ertränkte den Raum mit Schwarz. Gem kreischte. Joyce schlang die Arme um sie. Gem spähte daran vorbei und erblickte die Watts’, die einander anbrüllten, als bekämen sie vom eigenen Untergang nichts mit. Dann verschluckte sie die schwarze Woge, und sie waren verschwunden.
Gem und Joyce blieben allein zurück. Über ihnen ächzte die Decke wie zuvor im Esszimmer. Beide Frauen schauten auf und sahen, wie sie aufbrach. Ein Wasserfall von Finsternis stürzte auf sie herab.
Gem schloss die Augen, während Joyce das Mädchen bestmöglich schützte. Als die Finsternis über sie herfiel, schwoll der Lärm ohrenbetäubend an. Gem spürte , wie die Schwärze über sie strömte. Alles wurde ausgelöscht, alles war verloren.
Dann explodierte ein so grelles Licht, dass es sich durch Gems geschlossene Lider brannte. Sie schrie, drückte sich an Joyces Brust, erwartete, dass Flammen ihr die Haut vom Körper lecken würden. Joyce betete hektisch und inbrünstig in ihr Ohr. Bei jedem Wort bewegten sich ihre Lippen an Gems Kopf. Zitternd verstärkte die Geistliche den Griff um sie. Das Licht war so gleißend ...
Dann hörte Joyces Zittern auf.
Gem konnte das Licht – dessen Hitze – auf dem Rücken fühlen. Noch wurde es nicht heißer, aber das würde es noch, sie wusste es. Und das Letzte, was sie wollte, war, die Augen zu öffnen und dabei zuzusehen.
»Gem?«, flüsterte Joyce. Sie spürte das Kinn der Frau auf ihrem Kopf, als sie sich umsah. Schließlich sprach die Geistliche ihren Namen erneut aus und hörte sich dabei eher ehrfürchtig als panisch an. »Gem ...«
Gem spähte zwischen den Lidern hervor. Tageslicht flutete den Raum. Ungläubig blinzelte sie im grellen Sonnenschein, der durch die Wohnzimmerfenster einfiel.
KAPITEL 2
Eliot Davidson johlte vor Freude, als Carl den Football mit einem Hechtsprung fing. Er landete auf dem Boden, rollte sich perfekt ab und sprang mit hoch erhobenem Ball auf. Den grasverschmierten Kratzer an seinem rechten Arm bemerkte er nicht einmal, und Eliot hatte nicht vor, ihn darauf aufmerksam zu machen. Nicht nach einem so unglaublichen Fang. Schließlich blutete er nicht.
In den Fenstern des Hauses der Watts’ flackerte etwas. Eliot schaute nach rechts, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches feststellen. Er wandte sich wieder ab,
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