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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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über den zunehmenden Lärm der Mauern und Decke kaum hören. Vermutlich bestand das Geräusch nur in ihrem Kopf, entsprang dem Rauschen des ins Gehirn strömenden Blutes. Sie hatte noch eine Chance.
    Er hob die Hand und schleuderte die Pillen linkisch in ihre Richtung. Sie landeten vor ihren Füßen.
    »Warum?«, brüllte er und trat vor, nach wie vor weinend. Tränen strömten ihm übers Gesicht, und seine Lippen zitterten. Abermals spie er das Wort hervor.
    Seyha war vor Unentschlossenheit wie gelähmt. Bill wankte stockend den Flur entlang auf sie zu. »Wie lange schon?«, verlangte er zu erfahren. Mittlerweile brüllte er nicht mehr, wenngleich sie dies der gebrochenen Pein in seiner Stimme vorgezogen hätte. »Wie lange nimmst du ... dieses Zeug schon?« Mit zittrigem Arm deutete er in Richtung ihrer Füße.
    Mit dem nächsten Schritt überwand er die halbe Entfernung zu ihr. In jenem Augenblick splitterte die Wand neben Seyha, und sie taumelte zurück. Weißer Staub und schartige Kantholzbrocken spritzten aus dem Riss. Über Bill sackte die Decke herab und brach auf, ließ Staub und Verputz auf ihn herabrieseln. Seine Augen lösten sich nicht von den ihren. Er bemerkte nicht einmal, was vor sich ging.
    Seyha trat einen weiteren Schritt zurück, war sich der Finsternis in der Küche hinter ihr nur allzu bewusst. Weitere Risse tauchten in den Wänden neben ihr auf. Bills Wut und Kummer schienen um sich zu greifen, den Verputz und die Wände zu sprengen. Vor dem Schlafzimmer wölbte sich der Boden und brach auf. Ein Riss erstreckte sich den Flur entlang, folgte ihm, angezogen von seiner Seelenpein. Aus all den Spalten strömte eine tintenartige Flut von Finsternis, in die sich eine weitere, aus dem Schlafzimmer in den Flur schwappende Woge mischte. Als sie Bill erreichte, bäumte sie sich auf wie ein Pferd, ohne ihn zu berühren, verschlang jedoch in ihrem Fahrwasser das Haus. Wo die Schwärze die Wände und die Decke berührte, sprangen sie und fielen auseinander. Die wenigen Fotos an der Wand, die bei den ersten Sprüngen noch nicht gefallen waren, stürzten nun zu Boden und verschwanden in dem breiter werdenden Riss im Boden oder wurden lautlos von der Welle der Finsternis verschluckt.
    Gem und Joyce tauchten hinter Seyha auf, brüllten ihr und Bill zu, sie sollten flüchten.
    Seyha verharrte reglos, starrte in das Antlitz ihres Mannes, in ein Gesicht, aus dem all der Schmerz sprach, den sie ihm zugefügt hatte, all die Verheerung, die ihre Lügen herbeigeführt hatten. Es schien ihr mitzuteilen, dass sie ihm nichts Schlimmeres hätte antun können, wenngleich sie wusste, dass dies nicht stimmte. Sie hatte etwas noch Schlimmeres getan.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie. Bill konnte sie durch den Lärm des ringsum einstürzenden Hauses nicht hören. Die Lampe an der Decke löste sich und stürzte auf seine Schulter. Bill nahm den Aufprall nur mit einem flüchtigen Zucken zur Kenntnis, ehe er weiterging. Mittlerweile hatte er sie beinah erreicht.
    Seyha fühlte sich verpflichtet, an Ort und Stelle auszuharren, mit ihrem Mann zu sterben. Zumindest das konnte sie für ihn tun.
    Das Geräusch der unter seinem Schuh knirschenden Tablettenverpackung ertönte lauter als der übrige Lärm.
    Er packte sie an den Schultern und brüllte: »Wie konntest du ...« Plötzlich stockte er, starrte ihr mit Augen ins Gesicht, die nicht still halten konnten. Leiser als zuvor, aber mit jedem Wort lauter, rief er: »Was hast du noch gemacht? Was? « Sie spürte seinen Speichel, die physische Kraft hinter den Worten, die Wahrheit, die ihn ebenso zerriss wie alles um sie herum. Die Risse holten ihn ein. Ein mächtiger Verputzbrocken löste sich aus der Ecke neben ihnen. Schwarzer Dampf, zäh wie Sirup, streckte sich tentakelgleich nach ihnen, schwebte über Bills Kopf. Weitere Ranken tauchten auf, nährten sich von seinem Kummer.
    Der Rest des Flurs verschwand in der Schwärze, brach zusammen, als würde er von einem Monster zerstampft.
    Jemand packte Seyha hinten an der Bluse und zog sie zurück. Bills Griff um ihre Schulter löste sich. Die Entfernung zwischen ihnen wuchs. Rings um ihn und über ihm wanden sich die schwarzen Tentakel, die wie Arme anmuteten, mittlerweile Dutzende davon.
    Seyha kreischte, versuchte, sich zu befreien. Bill wurde nicht von ihr zurückgerissen – wenngleich ein Teil ihrer selbst es sich wünschte –, sondern folgte ihr ins Esszimmer, ohne auf das Chaos zu achten, das er hinter sich zurückließ. Er

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